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„Heimspiel bleibt ein Heimspiel und Demo wird ein Erfolg“

 

Deutschland 3:0 (1:0) Türkei
08.10.2010, 20.45 Uhr, Olympiastadion (Berlin), 74.244 Zuschauer (ausverkauft)

Als die Auslosung zur EM-Qualigruppe beendet war, hatte man für sich bereits eine Entscheidung fixiert: Nein, zum Heimspiel gegen die Türkei sollte es unter keinen Umständen gehen. Friede-Freude-Eierkuchenstimmung und ein Fest der Kulturen - das passt zur ARD-Themenwoche "Integration", hat aber beim Fußball eigentlich nix verloren. Der DFB um seinen Generalsekretär und Oberclown Wolfgang Niersbach drehte obendrein noch völlig durch und legte in einem Zug von totaler Euphorisierung auch noch nach Berlin und damit in genau die Stadt, die mehr Türken ihr eigen nennt, als es in Wolfsburg überhaupt Einwohner gibt. Angeblich wurde die Verlegung mit den modernen Sicherheitsstandards im Olympiastadion begründet - sehr logisch, bedenkt man doch die maroden und veralteten Systeme in solchen Bruchbuden wie der Allianz-Arena oder manchem Bundesligastadion im Ruhrgebiet...

Aber gut, die Lust auf das Spiel war also schon nicht mehr da, bevor man überhaupt einen Besuch angestrebt hätte und dabei wäre es dann wohl auch geblieben, wenn nicht irgendwann im Spätsommer doch der gute Rocky geschrieben hätte, er würde doch jetzt ganz gerne Tickets bestellen wollen. Hmm, da stand man also in der Bedrouille und als obendrein auch noch Simon seine Mitfahrt unter dem Credo "Das Heimspiel muss ein Heimspiel bleiben" bestätigte, sagte man dann also doch zu - so viel zum Thema Konsequenz :-). Die bewies man dann wenigstens noch unter der Woche vor dem Spiel, als sich nämlich das angedachte Tourprogramm um die Fandemo und einen Besuch bei Pogon Stettin dank einer Verlegung des letzteren im Grunde zerschlug. Sehr ärgerlich, aber jetzt hatte man halt zugesagt und stand entsprechend pünktlich am Freitagmittag auf der Güldenstraße, von wo aus es in Rockys Wagen gen Autobahn ging.

Aufgefahren wurde in Braunschweig-Nord und bereits da staute es vereinzelt, wobei die Gründe erst später ersichtlich wurden. Zunächst musste man sich erstmal mit anderen Verkehrsteilnehmern rumnerven, wobei sich eine Autobesatzung vierer Party-Deutsche mit Zipfelhut, Parücke und Restbestands-Vuvuzela als Dankeschön für ihre versuchte Spontanparty im Stop-And-Go-Verkehr ein paar Mittelfinger abholen durften. Darüber staunten die Jungs dann doch nicht schlecht, insbesondere da die Finger schließlich aus dem vermeintlich eigenen Schland-Lager kamen :-). Wenig später ging es dann doch wieder etwas schneller und siehe da, ein Auffahrunfall hatte uns diese kleine Verzögerung gebracht und bekam dafür von uns eine besondere Dose Mitleid: Zwei Hannoveraner hatten sich gegenseitig aus der Bahn geworfen, wobei zumindest in einem Auto auch Deutschland-Trikots am Start waren - wie schade :-).

Die restliche Fahrt verlief bei einer (sprichwörtlich) angeregten Integrationsdebatte recht fix, wobei sich dabei schon langsam auf Betriebstemperatur für die anstehenden neunzig Minuten gebracht werden konnte. Die Anfahrt zum Olympiastadion verlief dann wie schon ein paar Wochen zuvor beim Hertha II-Besuch über den Berliner Ring und die Westeinfahrt, wobei auch dieses Mal recht stadionnah in einem Wohngebiet am Glockenturm geparkt werden konnte. Damit hätte ich ehrlich gesagt nach bisher anderen Erfahrungen selbst nicht gerechnet, aber ein solches Angebot nimmt man doch gerne an. Insbesondere da sich das Angebot noch auf ein paar Wolters-Biere aus dem Zauber-Kofferaum des Fußballtouristen erweitern sollte - tja, den Fehler, mit zwei gefüllten Kästen durch die Gegend zu fahren, wird der eigentliche Besitzer wohl nicht mehr machen :-). Wir sagten dennoch erfreut "Dankeschön" und verbrachten so die Restzeit bis zum Anpfiff sehr entspannt am Wagen, ehe es den zumeist rot-weiß gekleideten Massen nach in Richtung Stadion ging. Hier sorgte ausgerechnet der Fahrer noch mal für einen kurzen Schreckmoment ("Wo ist mein Ticket?"), aber auch das Problem löste sich schnell und nach quasi null Kontrollen war das Olympiastadion betreten.

Unsere Plätze befanden sich heute dank der Nutzung des (billigsten) Fanclub-Kontigents in der sogenannten "Singing Area" der Ostkurve, wo sonst die Hertha-Fans rumstehen und sich Zweitligafußball angucken dürfen. Sportlich erwartete man da heute schon etwas mehr, gesangstechnisch war jedoch schon bei Erreichen der eigenen Plätze klar, dass das heute nichtmal Oberliga werden dürfte: Links von mir postierte sich eine Frauenkombo der Marke "Fette Kampflesbe" - die konnten zwar zunächst ignoriert werden, doch als die Tanten irgendwann während des Spiels einen Aufreger meinerseits mit einem "bleib doch ruhig, Junge" kommentierten, gab es das passende "Halt's Maul" zurück, was dann zum Glück von deren Seite aus auch so gehandhabt wurde. Das Gruselkabinett wurde ansonsten durch die Reihe vor uns komplettiert, in der sich eine Gruppe männlicher Fans konsequent hinsetzen wollte (klappte zum Glück nur bedingt). Die fanden uns ohnehin bald viel spannender als das Spiel, denn irgendwie sprach man nicht die gleiche Sprache und auch die Tatsache, dass ich mein komplettes Fanpaket gen Nirvana feuerte, war für die Herren nicht zu verstehen. Wo wir beim Thema wären, der DFB hatte heute natürlich keine Kosten und Mühen und durch seine Fanclub-Lakeien auf jedem Platz der Ostkurve ein Fanpaket montieren lassen. Konkreter Inhalt: Mottoshirt in weiß mit Aufdruck "Heimspiel", Fan-Cap und Pappe für die Choreo (die dann - oh Schreck - auch wieder ein "Heimspiel"-Slogan bildete). Alles ganz toll organisiert und die Trottelmasse zog auch artig mit - naja zumindest bis auf uns und die Gruppe Hannoi- und Bayern-Allesfahrer dahinter, die sich diesem Dummheitswettbewerb lieber entzogen und sich lieber an der wirklich gellenden Pöbel- und Pfeifforgie bei der Begrüßung vom Merkel und dem Schönling-Bundespräsi beteiligten.

Während der Hymnen konnte man dann einen ersten Eindruck über die Massenverhältnisse am heutigen Tag gewinnen und siehe da - aus dem Pfeiffen bei beiden Texten wurde deutlich, dass die Türkei heute gar nicht so sehr in der Überzahl sein sollte, wie im Vorfeld vermutet. Zwei zu drei würde ich vielleicht sagen, die Gegengerade war zumindest genauso geteilt, wie die Haupttribüne. Und auch sonst wurde recht schnell deutlich, dass den deutschen Exiltürken keine ganz so wilde Südmentalität, wie bei ihren echten Vorfahren zu unterstellen ist, denn bis auf einzelne "Türkiye"-Gesängen kam bei der rot-weißen Fraktion stimmlich nicht viel bei rum. Das machte dann doch Hoffnung auf mehr und auch wenn der deutsche Supporter-Part unter den 74.244 Zuschauern keine Bäume ausriss - mit zunehmender Spieldauer beruhigte sich alles zunehmend und wurde nach und nach zu einem typischen deutschen Heimspiel. Auf dem Platz dominierte die Löw-Elf nach belieben und spätestens nach Kloses 1:0-Abstauberkopfballs in Minute 42 war auch endgültig Ruhe im Gästeblock.

Zur Pause also Führung für die Adler-Elf, ein Bier zum Anstoßen gab es aber dennoch nicht. Alkoholfrei für über drei Euro - da wurde selbst der mobile Verkäufer seine Palette nicht los. Egal, jetzt sollte es auch so gehen und bereits kurz nach Wiederanpfiff hätte Thomas Müller aus Nahdistanz das 2:0 erzielen müssen. Der scheiterte aber an Türken-Keeper Volkan Demirel, was der echte türkische Gästeblockteil (mit u.a. den bekannten Fenerbahce-Fahnen) mit ein paar Bengalos belohnte. Das sah natürlich schick aus, wurde vom deutschen Stadionsprecher (diplomatische Seuselstimme) und dem türkischen Übersetzer (radikales Angeblaffe) aber gleich gemaßregelt. Gefallen konnte die Nummer natürlich trotzdem und kaum hatte man die Kameras wieder eingepackt, explodierte die Ostkurve dann tatsächlich mal richtig: Ausgerechnet Migrations-Vorbildtürke Mesut Özil wurde alleine auf die Reise geschickt und nachdem Demirel geschlagen wurde, stand es elf Minuten vor dem Ende 2:0, die Entscheidung! Da verstummten sogar die türkischen Pfeifkonzerte gegen Özil, was durch den spontanen rot-weißen Zuschauerschwund auch noch bestärkt wurde. So viel zum Thema "südländische Atmosphäre" - von Seiten der im Vorfeld doch zum Teil recht angeberischen Deutsch-Türken war das heute gar nichts, Erfolgsfans der billigsten Kategorie. Als Strafe für das frühzeitige Verlassen des Stadions setzte die DFB-Elf dann noch einen drauf - nachdem Demirel einen Abschlag völlig versemmelte konnte Klose alleine auf den Keeper zulaufen, den obendrein noch tunneln damit den 3:0-Sack zumachen, yes! Die Qualifikation dürfte damit bereits jetzt nahezu gesichert sein und entsprechend fröhlich ging es im Auto dann auch wieder zurück nach Braunschweig.

Nachdem die Löwenstadt gegen eins erreicht wurde, ging es um sieben Uhr bereits wieder raus und wieder sollte das Ziel Berlin lauten. Die großen deutschen Fanorganisationen hatten zur großen "Für den Erhalt der Fankultur"-Demo aufgerufen und zusammen mit gut 100 weiteren Braunschweigern ging es zunächst im Zug gen Alexanderplatz, dem Startpunkt der Demo. Die Braunschweiger Teilnehmerzahl ist an für sich okey, wobei es mich selbst schon verwunderte, das fast durchweg junge Ultras um Cattiva und Umfeld den Braunschweiger Block stellten - gerade nach den Erfahrungen des Rostock-Spiels hätte ich auch den einen oder anderen Vielfahrer mehr erwartet. Aber gut, dafür begleitete FKB-Stahl den Zug, auch wenn er das angebotene Mottoshirt mit der fadenscheinigen Begründung, seine Größe wäre nicht mehr vorrätig, ausschlug. Dann gibts nächstes Mal aber auch keine so nette Begrüßung mehr :-)!

Der über 5.000 Fans-Starke Demozug lief über den gesamten Nachmittag hinweg dann seine Route vom Alex weg in Richtung Friedrichstraße, "Unter den Linden" und vorbei an der Humboltuniversität. Öffentlichkeit war also zu genüge gegeben und dank keinerlei Ausfälle einzelner Gruppen und des gleichzeitigen farbenfrohen Zeichens kann man wohl von einem absoluten Erfolg der Veranstaltung sprechen. Es wurde ein klares Zeichen für mehr Vertrauen in Fankultur gesetzt und konkret als Braunschweiger Part dürfte man zumindest in Bremen neue musikalische Freunde gefunden haben, da der "Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen"-Gesangshit nun auch die Werder-Ultracharts anführen dürfte. Selbst die hinter uns laufenden Dresdener und Zwickauer stimmten da vereinzelt mit ein, was bei den Modulen in der ersten Reihe auch recht kurios aussah. Nachdem man sich am Vorabend also mit den ganzen Länderspieltrotteln um den Fanclub hat rumärgern müssen, konnte man heute also mit dem schönen Gefühl wieder nach Braunschweig zurückkehren, dass noch nicht alles in Sachen deutscher Fankultur verloren ist.

Info: Im Zuge meines PC-Absturzes sind die Länderspielbilder (bisher unauffindbar) verloren gegangen. Daher gibts nur ein paar Demo-Impressionen - wer sich auch in Sachen Deutschland vergnügen will, gibt am Besten bei Youtube mal die entsprechende Paarung ein :-).

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