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„Welcome South Africa - Nette Afrikaner, desolate FIFA, arroganter DFB!“

 

Südafrika 1:1 (0:0) Mexiko
11.06.2010, 16.00 Uhr, SoccerCity (Johannesburg), 84.490 Zuschauer (ausverkauft)

Bevor ihr mit dem Lesen dieser Berichte anfangt ein kurzer Hinweis dazu: Ich habe immer die besuchten Spiele als zeitliche Aufhänger der Berichte verwendet, heißt ihr erfahrt hier nicht nur etwas über das Eröffnungsspiel, sondern auch über die Anreise und viele andere Dinge, die da so passierten. Sollte euch das nicht interessieren, könnt ihr es einfach überscrollen - idealer Weise lest ihr aber einfach Etappenweise, wie es sich in einem Tagebuch auch gehört :-).

Es sollte also losgehen! Nachdem man im vergangenen Jahr sein Abitur gemessen am geleisteten Aufwand gar nicht mal so schlecht absolviert hatte, hatten die Eltern dafür ein Wunschgeschenk ausgelobt. Doch statt einem Auto, Führerschein oder sonstigem Unsinn, den man sich zum Abi so schenken lassen kann, entschied man sich für eine Reise zur WM 2010 nach Südafrika. Kein ganz billiges oder gewöhnliches Geschenk, aber da der sonst gar nicht so reisebegeisterte Herr Papa ebenfalls hochinteressiert an einer Tour in die Regenbogennation war, konnte der Wunsch realisiert werden. Die FIFA und ihre Ticketverkauf spielten ebenfalls mit, bereits in der ersten Verkaufsphase bekam man Karten für das Eröffnungsspiel zugeteilt. Und so wurde fix eine Tour um eben jenen Eröffnungstag gebastelt, kompromisshalber sah man aber von leichten Chaosplanungen in Form von Spieldoppeln und individuellen Bustouren durch das Land ab. Klar, alleine wäre das kein Thema gewesen, aber wiegesagt - so hoppingorientiert denkt der Vater nicht und man soll seine Sponsoren ja bei guter Laune halten :-).

Sonst gestalteten sich die Planungen aber recht unkompliziert, die meisten Transfers und Touren konnten im Vorfeld gebucht werden, der restliche Kleinkram fiel in die Kategorie "es wird schon irgendwie klappen". Auch vom schulischen Arbeitgeber bekam man trotz fehlender Ferien eine Ausnahmegenehmigung, bizarrer Weise wurde man dort ja auch noch wie ein kleiner Popstar verabschiedet und die besten Wünsche gewünscht - tolle Toleranzmoral und herzlichsten Dank nochmal:-)!

Und so war es am Mittwoch, den 09.06.2010 dann endlich so weit, morgens machte man sich mit dem Bus in Richtung Hauptbahnhof auf. Da als Transfermittel nach Südafrika ein sogenanntes "Fanflugangebot" des DFB-Reisebüros Euroloyd zum Festpreis in Anspruch genommen wurde, musste ab München geflogen werden und so hieß es erstmal nach Bayern kommen. Puffer war genug geplant, man kennt ja seine liebe Deutsche Bahn und wie sollte es auch anders sein, hatte unser Zug zielsicher vierzig Minuten Verspätung. Naja gut, Umstieg in Fulda also schonmal futsch, aber es war ja wiegesagt noch massig Zeit zwischen Zugfahrt und Abflug eingeplant. Die Wartezeit wurde also mit etwas Rumgespiele am Bahnautomaten (einmal Zugplan London nach Almaty bitte, aber nur Nahverkehr!) überbrückt und als das zu langweilig wurde, bekam man auch noch unerwarteten Besuch von Family-Willi und seinem Kumpel Stefan. Die hatten den gleichen Zug gebucht und mussten nun ebenfalls warten, immerhin war nun erstmal genug Zeit für den üblichen Fansmalltalk und da man passender Weise noch Sitzplatzreservierungen in Sichtweite hatte, dehnten sich diese Gespräche bis Fulda dann auch aus. Dort hieß es nun halt knapp eine Stunde später umsteigen, was aber bei sommerlichen Temperaturen auch problemlos klappte. Im zweiten Zug fehlten nun zwar durch die Verspätung die Reservierungen - machte aber nix, da sich die Familisten gleich in Richtung Bordrestaurant verkrochen und man selbst erstmal ein Nickerchen einlegte. Das wurde dann nur durch zwei nervige bayrische Bundeswehrrekruten gestört, die ihre unsinnigen Storys aus dem spannenden Alltagsleben als Zeitsoldat durch den ganzen Zug blökten.. braucht kein Mensch!

Münchens Hauptbahnhof wurde in jedem Fall entspannt erreicht und da der gute Papa derzeit in der bayrischen Landeshauptstadt arbeiten darf und auch sonst die Beschilderungen vor Ort eine Note eins sind, fand man auch schnell das S-Bahngleis und eierte mit einer Vorstadtbahn noch eine weitere knappe Dreiviertelstunde stadtauswärts in Richtung Airport. Nervt schon ein bisschen, aber vielleicht bekommt München ja nach Stoibers Ableben noch endlich ihren Transrapid geschenkt. Ich bekam in jedem Fall nach vollendetem Check-In am Schalter von SouthAfrican-Airways einen ersten Maßkrug Weißbier im Flughafenbiergarten geschenkt, wenn man schonmal hier ist.. Am Boardinggate bekam man anschließend einen mittelfristigen Schock, eine Truppe blaugekleideter Nerv-Italiener lungerte in Sichtnähe unseres Einstiegortes herum - och nee, wieso muss man immer die uncoolen Fans an Bord haben. Hatten aber Glück im Unglück, die Quatschfraktion vom Stiefel stellte sich als deren Volleyballnationalmannschaft heraus und die stieg nicht in den Flieger nach Johannesburg, sondern nach in den nach Tiflis - viel Spaß dort! Bei uns postierte sich eher normales Reisevolk, erstaunlicher Weise fast keine erkennbaren Fußballanhänger. Sollte aber recht sein, erst im Flieger gaben sich im unmittelbaren Sitzumfeld ein paar an für sich aber ganz nette Leute als WM-orientiert zu erkennen, die ebenfalls den Fanflug und auch die gleiche Übernachtungsmöglichkeit gebucht hatten. Der Flug selbst startete dann mit etwas Verzögerung, der gute Pilot wollte mir irgendwas von "Cargoproblemen" erzählen, naja auf dem Bordmonitor konnte ich davon nix erkennen. Soll auch egal sein, SouthAfrican-Airways bekommt in jedem Fall die Servicenote sehr gut. Das Entertainment punktete schon bei dem ulkigen Sicherheitsvideo und das Musik- und Filmangebot gefiel auch, auch wenn man es auf dem Hinflug bei ein paar Liedchen bleiben sollte. Dafür gab es nämlich Freigetränke satt und wie erwartet hielten die Bierreserven nicht lange an. Also wurde nach dem Abendessen auf südafrikanischen Wein umgestellt, der soll ja gut sein und tatsächlich gefiel er auch mir Nicht-Weintrinker. Die Nacht also gerettet und erst nach Mitternacht stellte man den Konsum dann auch entsprechend ein. Naja fast zumindest, abschließend sollte es nochmal zur Toilette gehen, wo ja bekanntlich auch eine Stewardess immer Nachtwache hält. Die wurde aber gerade von einem netten Herrn im Englandtrikot um zwei ganze Hände voller Schnapsflaschen entledigt, so dass man doch etwas entrüstet nachfragte, wieso der Tommy denn soviel Zeug bekommen würde. Kommentarlos gab es noch eine Flasche Wein für mich, ja danke ich wollte doch nur aufs Klo gehen. Gut, also wieder zurück auf den Platz - prost und gute Nacht :-)!

Am morgen erwachte man dann doch etwas übermüdet, da der Flieger aber bereits zur Landung ansetzte blieb aber auch keine weitere Schalfmöglichkeit. Aussteigen angesagt und welcome Johannesburg! Bei der Gepäckausgabe wurde dann dankenswerter Weise eine gratis Cola gereicht, so dass man wieder halbwegs wach wurde und da unser Koffer auch tatsächlich an Land kam, konnte man das ganze Prozedere schnell beenden. In der Wartehalle erwartete dann eine Tante vom Fanclub Nationalmannschaft unsere Ankunft (und auch die einiger anderer Deutschland-Fans) und nachdem die Gruppe irgendwann vollständig war, ging es mit dem Shuttlebus in Richtung Pretoria. Für die kommenden neun Tage hatten wir uns dort im sogenannten "Fan-Village" des Fanclub Nationalmannschaft eingebucht - ja ich weiß, Schande über mein Haupt! Im Vorfeld war man ja schon etwas unsicher über die Lage vor Ort und im Hinblick auf die durchaus saftigen Hotelpreise hatte man halt diese Variante gewählt, auch wenn sie mir persönlich recht wenig schmeckte. Der Fanclub ist ein Abzockverein vor dem Herrn und gehört lieber heute als morgen aufgelöst, aber die Aussicht auf die versprochenende Leistungen ließen zumindest meinen Vater dann doch überzeugen. Die Praxis werdet ihr selbst schnell genug hier herauslesen können ..

Nach gut einer Stunde Fahrzeit erreichte der Bus schließlich das Campusgelände der "Tshwane University of Technology", halt dem Technikzweig der Uni Pretoria. Die ist immerhin Afrikas größte Universität und schon sowas wie eine Vorzeigeadresse in Sachen Studium. Auf dem Gelände des Technikbereichs stehen nun verschiedene Wohnsiedlungen mit auch unterschiedlichen Namen, wo die Studenten sonst so untergebracht sind. Der Fanclub hatte nun zur WM keine Kosten und Mühen gescheut und eine dieser Wohnsiedlungen mit dem schönen Namen Orion für seine Kundschaft (und mehr ist es ja nicht) gebunkert und dafür die Stundenten rausquartiert. Heißt wir bekommen halt schlicht die Studentenzimmer, 55 Euro soll das pro Nacht kosten, ein Mal pro Tag Mensafrühstück ist inbegriffen. Vor Ort erwartete uns dann auch eine ganze Heerscharr junger und etwas älterer Menschen in roten "Fanclub-Staff" Pullovern, die sich um die neuen Gäste kümmern sollten und das dann auch herzergreifend taten: Man hat ja nun wirklich nicht gerade wenig Vorurteile über den dämlichen Fanclub und seine Unfähigkeiten, aber selten sollten die derart bestätigt werden, wie in den kommenden Tagen: Die Typen in ihren bekloppten Pullovern führten sich zunächst erstmal grundsätzlich auf wie die allwissenden Superchefs, ohne die ja hier nichts gehen würde. Hatte so ein bisschen was von Grundschullehrern, die ihre Klasse zu einem Ausflug ins Schwimmbad begleiten, alles genau geplant und alle Risiken genaustens kalkuliert. Gut, 90% des ansässigen Klientels im Fanvillage entsprach geistig auch dem Niveau von (zahlungskräftigen ;-)) Grundschülern, aber trotzdem rechtfertigt das nicht, wie oft ich die Sätze "ach, hier in Südafrika ist halt alles anders" und "ja aber der DFB/die FIFA haben gesagt" hörte. Völlig Obrigkeitshörig und gleichzeitig völlig ignorant und lebensfern gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten, wurden die Jungs und Mädels vom Fanclub bereits in den ersten zehn Minuten zum absoluten Ärgernis. Da wurde von unserer Seite nach südafrikanischen Stromadaptern gefragt, die es in Deutschland nur schwer zu bekommen gab - "ja die haben wir nicht, wenn wir anfangen die zu besorgen, dann kommt Person xy und will das und das auch noch haben". Also ok, wir brauchen dann wohl ein Taxi in die Stadt - auch, um die Tickets noch abholen zu können: "Ja, wir können euch eine Nummer geben.." Nummer also rausgegeben und von uns gewählt - leider nur ohne Erfolg, da der Anschluss des südafrikanischen Taximenschen keine Roamingfunktion hatte. Jetzt könnte man ja vielleicht flexibel als Fanclub einspringen und ein Festnetz anbieten oder so, nein - nur ratloses gucken und kontrollierter Rückzug. Absolutes Ignorantenverhalten und unter aller Kanone, hauptsache der Kunde zahlt eure Affenpreise für das dämliche Village! Hilfe bekam man dann schließlich auf eigenen Wegen, man fragte halt lokale, farbige Angestellte und Studenten, die mit eigenen Handys eine Kontaktperson der Uni anriefen. Das klappte dann ironischer Weise einwandfrei und für den Nachmittag hatte man also einen Fahrshuttle in Richtung City geordert. Zeit also genug, die Zimmer zu beziehen und sich ein Bild der Lage zu machen: Wie bereits gesagt besteht das Village halt aus den einzelnen Studentenbuden, die in sechs Worten zu beschreiben sind: Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, keine Heizung. Insbesondere letzteres sollte in den Folgetagen zu einem nicht ganz unerheblichen Problem werden, schließlich sollte ja bekannt sein, dass die Temperaturen im afrikanischen Winter durchaus auf unter null Grad sinken können... Ansonsten findet man vor Ort noch ein großes, arg nach Frittenbude stinkendes Partyzelt in schwarz-rot-gold vor, in dem sich die vertrottelten Schlandfans schön zusammensitzen und gemeinsam die Spiele gucken sollen. Immerhin wartet das Zelt neben der Verpflegung auch mit einer eigens importierten Bitburgertheke (was für ein Schwachsinn) und einem durch Südafrikaner gestellten Cateringangebot auf. Naja, wird bei Gelegenheit noch vertieft..

Für uns war alsbald nämlich dann die Treffzeit erreicht und tatsächlich wartete ein VW-Van der Marke Ballerbus auch schon auf uns mit Eric am Steuer. Eric ist das Sinnbild eines südafrikanischem Zulus, etwas verquatscht aber wirklich herzensgut und voller Lebensfreude. 48 Jahre ist der gute Mann alt und arbeitet normaler Weise irgendwie an der Uni, kannte in jedem Fall alles und jeden und hatte wirklich Ahnung - unsere Glücksfee für die nächsten Tage. Zielsicher wurden wir von Eric also zusammen mit drei weiteren Neuankömmligen (ein jüngeres Päärchen und ein älterer Bayer - alle drei immerhin so helle, sich um 14 Uhr noch nicht ins Partyzelt zu setzen, sondern wenigstens erstmal die Ticketfrage zu klären..) in Richtung Brooklyn Mall gebracht. Die besagte Mall liegt etwas außerhalb der Innenstadt von Pretoria und beherbergt einen der FIFA-lizenzierten Ticketabholestellen. Die Jungs und Mädels vom Mafia-Verband waren diesmal nämlich ganz pfiffig und hatten, wohl um dem Schwarzmarkt vorzubeugen, dafür gesorgt, dass keine Tickets per Post verschickt wurden. Die könnten nur vor Ort abgeholt werden und was das bedeutet, sahen wir dann doch recht schnell: Da passender Weise auchnoch die Abholautomaten ihren Betrieb einen Tag vor dem Eröffnungsspiel einstellten, erwartete uns eine Schlange einmal quer durch die gesamte Mall, die dann irgendwann an drei überforderten Kassen endete. Aber gut, was will man machen - morgen ist bereits das erste Spiel und man war ja nach dem ersten Chaos im Fancamp ja auch ganz froh, wenigstens hier zu sein. Also angestellt und Eric erstmal entlassen, er möge doch in einer Stunde wieder kommen. Machte er dann auch, nur nach einer Stunde hatte sich immer noch nichts bewegt. Da der gute Eric für sich und seine Töchter aber am Abend Karten für das Eröffnungskonzert in Soweto hatte, musste er nun leider verlassen, stellte aber noch schnell einen Kontakt zu seriösen Taxifahrern vor Ort her. Tausend Dank dafür, schon jetzt war der Mann Gold wert! Wir standen also noch weitere zwei Stunden brav in der Schlange, jeder bekam noch einen Erkennungsstempel des Sicherheitspersonals auf die Hand, um dann zu erleben wie die Schlange doch geteilt wurde. Alles ein mittelfristiges Chaos, aber was will man denn bei dem Andrang auch erwarten? Weit über eine Million Tickets müssen in zehn-elf Stationen im Land abgeholt werden, das kann logistisch nur schief gehen! Der Highlightspruch kam schließlich von einem lokalen Sicherheitstypen, der uns aufforderte, andere Leute aus der Schlange zu drängen: "we must work together!" :-) Irgendwann am späten Nachmittag hatte man dann also seine Tickets und konnte auch tatsächlich eins der von Eric empfolenen Taxis aufsuchen - ein Schrottbus Marke Klischee-Afrika, der uns aber immerhin mit Hilfe des internetfähigen Handys des Bayern ans Ziel brachte und durch Modern Talking aus dem Radio auchnoch moralische Pluspunkte brachte :-).

Zurück im Fanvillage wurde man dann Zeuge einer vorher groß angepriesenen Pressekonferenz, niemand geringerer als der DFB-Marketingstratege Oliver Bierhoff, hatte sich zusammen mit seinem ganzen Rattenschwanz an Firmenvertretern und selbsternannten Fanrepräsentanten die Ehre gegeben und stand dem ausgewähltem Pressetross Rede und Antwort. Die bekamen dazu auch fleißig Flyer und Schnittchen gereicht - ach, wie schön sich der Fanclub doch um sein wirkliches Klientel kümmert! Die anwesenden Fans wurden selbstredend in die letzte Reihe verfrachtet und durften maximal andächtig nicken, während Bierhoff sein Phrasenschwein zum Platzen brachte. Ach wie schön die heile Fanwelt doch ist und wie wichtig der interkulturelle Austausch, blablabla. Da man akute Brech-Gefahr kommen sah und das Eröffnungskonzert eh nicht gezeigt wurde, ging es lieber schnell auf die Zimmer - woran auch das Angebot auf eine Partytour in die Stadt mit irgendwelchen Deutschland-Prollfans nichts ändern sollte. Um es vorweg zu nehmen: Von den vierzehn Leuten, die das tatsächlich machten, waren am nächsten Tag genau zwei wieder da. Möge man den Rest bitte irgendwo in der Wüste vergraben!

Am Freitag hieß es schließlich auch zeitig aufstehen, Eröffnungstag ist angesagt und Eric wurde bereits für neun Uhr bestellt. Also vorher schnell noch in der Uni-Mensa gefrühstückt (very british, Schinken, Pilze und sonstigen Spaß - durchaus lecker:-)) und schon wartete Eric auf uns am Eingangstor zum Village. Dummer Weise mussten wir dann wiederrum auch noch ein bisschen warten, denn unsere Buchung hatte sich wohl rumgesprochen und Eric erzählte was von anderen Deutschen, die ebenfalls mitkommen wollen würden. Naja warum nicht, wird ja dann eher billiger - wenn die Jungs denn auch da sein würden. Immerhin ein Tübinger (Markus oder so) schaffte es noch pünktlich, stellte sich aber geistig nicht gerade als vorteilhaft heraus. Immerhin mussten wir seine Kumpels dafür nicht auch noch kennenlernen, die hatten wohl im Partyzelt übernachtet und ließen gegen halb zehn verlauten, sie würden jetzt noch frühstücken gehen. Sorry Leute, es ist Eröffnungstag und wir sind in Afrika, da geh ich zeitlich auf Nummer sicher - Abfahrt also angesagt!

Die Strecke nach Johannesburg wurde dann bei netten Unterhaltungen mit Eric schnell überbrückt und auch die Verkehrslage zeigte sich dank einiger Wegmanöver des Fahrers nicht ganz so schlimm wie erwartet. Zusätzlich bot sie noch einen netten Blick über die Skyline von "Jo'burg" um die große "Nelson-Mandela-Bridge" und so einige nette Motive im Licht der langsam stärker werdenen Sonne. Da Eric selbst keine Karten für das Eröffnungsspiel hatte, hatte er für uns einen Treffpunkt-Schlachtplan entwickelt und ließ uns am Casinokomplex des Freizeitparks "Gold Reef City" raus. Den wollten wir später zwar eh noch besuchen, aber als Einsammelpunkt war er schon recht optimal, da ein direkter Park-and-Ride Service zum SoccerCity-Stadion direkt an das Casino angeschlossen ist. Wurde uns durch Eric wirklich rührend erklärt und gezeigt, so dass wir mit einem guten Gefühl im Bauch die Shuttlebusse in Richtung Stadion bestiegen. Auf dem Weg dahin bekam man natürlich wieder Erkennungsstempel auf die Hand gedrückt, klappte aber alles wirklich gut, so dass keine zwanzig Minuten später ein erster Blick auf das Fußball-Mekka Südafrikas geworfen werden konnte: Für insgesamt 300 Millionen Euro wurde das eigentlich nach der "First National Bank" benannte Heimstadion der Kaizer Chiefs Johannesburg in ein modernes Stadion der Superlative umgebaut: Offiziell 94.700 reine Sitzplätze (bei der WM etwas weniger) findet man in dem großen Rund, das von außen einer Schlangenhaut ähneln soll und mit etwas Fantasie auch durchaus tut. Nach der WM werden ein paar Sitzplätze in Stehränge umgewandelt, so dass die Kapazität locker die 100.000er Marke erreicht - das größte Stadion in ganz Afrika und ein absolut würdiger Standort für die Eröffnung der ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden!

Bis das Turnier aber halt eben eröffnet werden sollte, war aber noch ein wenig Zeit und war das erste Tagesziel die Souvenirmeile. Irgendwie kam man sich mit seiner schwarzen Jacke ja schon etwas eigenartig zwischen den ganzen quietschbunt gekleideten Fans der südafrikanischen "Bafana Bafana" vor und so konnten als erstes eine schicke (und vorallem alltagstaugliche) Mütze und eine kleine Fahne von fliegenden Händlern erworben werden. Als nächstes ging es über die große Brücke zum Stadion, vorbei an unzähligen Kamerateams, die die möglichst schrillsten Fans beider Lager bestmöglichst ablichten wollte. Mit dem Gegner Mexiko hatte man da ja ohnehin einen Jackpott gezogen, die sind ja mal mindestens genauso durchgeknallt wie die Afrikaner selbst. Also alles voller rumhüpfender Spaßpapageien und so bahnte man sich den Weg zum "Official Merchandising Shop" der FIFA, der nach kurzem Anstehen auch betreten werden konnte. Schnell wurde man auch in Sachen Match-Shirts fündig und kam, wie sollte es auch anders sein, zum Bezahlvorgang - der damit ein neuerliches Kapitel europäisch-westlicher Planlosigkeit offenbarte: Ganz findige Leute aus Seppl Blatters Marketingabteilung hatten sich überlegt, dass es doch ganz toll und exklusiv wäre, wenn man in und ums Stadion herum nur mit einer Kreditkarte des Partners Visa zahlen könne. Und wer halt keine von sich aus hat, kann sich eine Prepaidkarte im Visa-Design kaufen und halt so zahlen, im Grunde vergleichbar mit den diversen Arena-Cards in Deutschland. Dummer Weise hatten die Strategen dabei aber nicht bedacht, dass das südafrikanische Telefon- und Internetnetz aufgrund der infrastrukturell schwachen Vergangenheit nicht auf einem ausgebauten Festnetz, sondern halt einem chronisch überlasteten Funknetz basiert. Und wenn am Eröffnungsspieltag 84.000 Handys auf einem Platz sind und das Fernsehen dazu auch noch Signale in alle Himmelsrichtungen ballert, bricht so ein Netz dann mal ganz schnell zusammen. Tat es natürlich auch und folglich waren alle Visa-Kartengeräte out of order. Sah auch schon ganz lustig aus, wie die armen Verkäufer verzweifelt die Lesegeräte gen Himmel reckten, immer in der Hoffnung doch noch irgendwie ein Netz zu bekommen. Naja und so stand man halt die verbleibene Zeit, um irgendwann etwas verbittert aufzugeben, die Eröffnungsfeier soll schließlich schon gesehen werden.. Danke Visa, vielleicht sollte man die diversen Werbezüge "We are proud to accept only Visa-Cards" durch den Zusatz "slow" ersetzen, wie es einer der Verkäufer leicht ironisch tat ("Visa - they are sooo slow!" :-)).

Nach dem Werbegag ging es dann also rein in den Tempel, glücklicher Weise ohne nennenswerte Schlangen oder Probleme, auch wenn man am Eingang Flughafen ähnliche Detektoren durchsteigen musste (die dann natürlich auch piepten - interessierte nur keinen..). Im Stadion ist alles sehr weitläufig angelegt und so wurden die Plätze im Oberrang schnell gefunden und ein erster Blick ins Innere geworfen: Schon absolut gewaltig! Man war ja nun auch schon in einigen Stadion der größeren Kategorie, aber durch die Weitläufigkeit und die vielen orangen Sitzschalen wirkt Soccer City echt gewaltig! Kriegt wirklich fünf Sterne, gefällt mir besser als gedacht!

Die Eröffnungsfeier startete dann mit einem echten Paukenschlag, die südafrikanische Airforce startete mit ihren Jets einige gewagte Manöver direkt über dem Stadion - optisch sehr ansprechend, aber akkustisch durch die Vuvuzelas kaum zu hören. Wo wir beim nächsten Thema wären: Klar, nach der Rückkehr nach Deutschland haben mich die Dinger im Fernsehen auch genervt, dieser monotone Unterton ist halt schon irgendwie störend. Ist man aber im Stadion direkt dabei, empfindet man die Tröten völlig anders, weil im Stadion halt auch unterschiedlich stark/verschieden damit umgegangen wird. Da trötet und tanzt ein Afrikaner neben Dir, ein anderer wedelt mit dem Ding - das wirkt dann einfach vielseitiger und interessanter. Vielleicht vergleichbar mit Fangesängen im Stadion: Singt man selber mit, nimmt man die Lieder ganz anders wahr, als wenn man sie eintönig im Fernsehen über die zum Teil auch noch ungünstig platzierten Lautsprecher aufnimmt. Während der Zeremonie war dann aber auch nach einem Anzeigetafelhinweis sowieso erstmal Ruhe, wurden doch einige Lieder diverser einheimischer und afrikanischer Sänger vollführt, wobei R Kelly der einzige mir bekannte war. Shakira hatte genau wie K'naan vom Coca-Cola-Song irgendwie auf die Eröffnungsfeier kein Bock (kannst Dich also beruhigen, Willi! :-)) und so sah man "nur" das übliche Choreographieprogramm einer (afrikanischen) Eröffnungsfeier: Anfangs tanzten buntgekleidete Leute Striche in Richtung aller Spielorte, untermalt von kleineren Pyroeinlagen. Anschließend kickte ein Mistkäfer mit einem Fußball (Sinn nicht ganz verstanden) und ein paar Tänzer bildeten mit ihren Trachten schließlich den afrikanischen Kontinent, was Mandela via Videoleinwand entsprechend kommentierte (Sinn hier natürlich schon verstanden :-)). Es folgte ein erster richtiger Bezug zum Fußball, das SoccerCity-Stadion wurde in klein gebaut und unter Rauchzeichen auch betanzt, ehe nach und nach die Fahnen aller FIFA-Mitglieder Einzug ins Stadion erhielten. Die teilnehmenden afrikanischen Staaten wurden durch eine Art Baum im Kern besonders gewürdigt, die Teilnehmer der WM mit einer Art Zettelchoreo und großen Tafeln ebenfalls. Abschließend kam das Turnierwappen noch dazu(-getanzt) und durch ein kleines Feuerwerk wurde das ganze untermalt. Sollte man schon mal live gesehen haben, schaut euch am Besten einfach die Bilder an oder geht nach Hamburg zum "König der Löwen", das ist fast genauso :-). Beendet wurde das Ganze dann durch den Auftritt von Sepp Blatter (der hier natürlich keine Pfiffe erhielt, die Afrikaner wählen den schließlich immer weiter brav zum Präsidenten..) und des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma. Der ist, glaubt man Erics Erzählungen, so ein bisschen das Enfant terrible der ANC, stets in Partylaune, oft bunt gekleidet und unzählige Frauen/Affairen. Halt ein typischer Zulu mit urafrikanischer Lebenskultur - das gefällt den Leuten und daher wählen sie ihn. Heute durfte er zumindest die Weltmeisterschaft offiziell eröffnen und tat das nach einem kurzen Gruß an Nelson Mandela auch. Die lebende südafrikanische Legende konnte aufgrund eines tragischen Unfalltodes einer Enkelin (?) am Vortag leider nicht selbst zur Feier kommen, doch bereits bei der Erwähnung seines Namens brandete tosender Beifall im weiten Rund auf. Für uns Deutsche ist es wohl unvorstellbar, was für einen Status dieser Mann in der (farbigen) Bevölkerung haben muss!

Nach Beendigung der Zeremonie wurde der Platz dann etwas unkoordiniert geräumt und die Spieler konnten sich warm machen. Das Stadion füllte sich nun auch endgültig und so wandelte sich das orange Gesamtbild in die Farbe gelb um, die Trikotfarbe Südafrikas. Lediglich fünf in sich kompakte aber versträute grüne Ecken Mexikos konnten ausgemacht werden - akkustisch hatten die natürlich nicht so viel zu vermelden, bemüht haben sie sich aber allemal! Auch die ersten deutschen Zaunfahnen konnten ausgemacht werden - haben es halt doch wieder alle irgendwie hergeschafft..

Ein schönes Bild zeigte sich dann noch vor dem Auflaufen der Teams auf der Videoleinwand - die offenbarte einen Blick in die Mixed Zone und da sah man die südafrikanische Nationalmannschaft eifrig am Tanzen, während die Mexikaner eher störrisch und konzentriert zu Werke gingen. Mit Erklingen der FIFA-Hymne liefen beide Teams dann unter wirklich enormen Krach (und Tränen einzelner Afrikaner!) ein und die Welmeisterschaft konnte auch sportlich beginnen: Man selbst hielt natürlich schon irgendwie mit den Gastgebern und die spielten von Beginn an auch gar nicht so schlecht mit. Klar, Mexiko hat die besseren Individualsportler, aber Südafrika spielte wirklich aus vollem Herzen dagegen und hatte auch ein bisschen Glück, als ein mögliches 1:0 für Mexiko wegen Abseits nicht gegeben wurde. Torlos also zur Pause, doch das sollte sich in Minute 55 endern: Die Gastgeber spielten einen schönen Pass in die Spitze auf Siphiwe Tshabalala, der einfach mal abzog, den Ball optimal traf und in den Winkel zum 1:0 setzte! Gigantischer Jubel natürlich im Rund, ein Traum schien war zu werden. Tatsächlich spielte Südafrika nun richtig gut mit und hatte selbst gute Chancen auf das 2:0, nutzte die aber nicht und bekam natürlich die Quittung: Nach einer Ecke stand Barcelona-Verteidiger Raphael Marquez völlig ungedeckt am langen Pfosten und konnte das 1:1 für Mexiko besorgen, schade! Und nochmehr schade, da Südafrika in der letzten Minute nochmal den Pfosten aus kürzester Distanz traf und sich so "nur" mit einem Punkt gegen den Favoriten aus Mittelamerika begnügen musste. Folglich nach Abpfiff erstmal etwas bedächtige Stille, ehe die Fans dann doch der Mannschaft ihren verdienten Applaus zollten. Das taten wir auch, um uns dann durch das Abfahrtsgedränge hindurch direkt wieder in den Fanshop zu stürzen. Das Matchshirt sollte ja doch noch irgendwie erworben werden und auch wenn diesmal die Geräte wieder "slow" waren - irgendwann klappte auch die Visa-Transaktion und man bekam seine heißersehnten T-Shirts endlich - man man man.. Belustigen konnte man sich dafür dann noch an einer etwas elitären Tante von CNN, die natürlich bei ihrer Übertragung von Vuvzelas und deren Inhabern quasi umgerannt wurde - sie meckerte rum und der Aufnahmeleiter beendete das Projekt mit dem beruhigen Satz: "What do you want more?" :-)

Das "Abströmen" klappte ansonsten dann aber dafür ganz gut, mit einer Armada aus Doppeldeckern, Schulbussen, Minibussen und Ballerbussen wurden die Leute zurück zu den Parkplätzen kutschiert, wie es an dem Minibahnhof in unmittelbarer Nähe aussah, will ich dennoch nicht wissen. Unsereins nahm in jedem Fall in einem Minibus Platz und bekam da vom Fahrer via Bildschirm sogar noch Musik von DJ Bobo (allerdings das südafrikanische Pendant) geboten. Nach Ankunft im Casino hatte man noch ein bisschen Zeit und erkundete den Komplex gleich mal: Ist im Grunde ein großer Konsumtempel, in der Mitte halt Spielgelegenheiten ohne Ende und drumherum kleinere Shops und insbesondere Restaurants und Bars. Wir entschieden uns für ein Restaurant und aßen mit Eric, der dort noch eine andere Truppe Deutsche aufgabeln wollte, eine absolut gute Pizza Rustica. Die Deutschen stellten sich dann leider als absolute Vollhonks heraus, die die Rückfahrt über mit ihrem Dummgelaber nur nervten, aber gut - man war eh müde und döste so lieber ein wenig. Peinlich wurde es dann am Ende nurnoch, als die Deppen dann auch noch den im Vorfeld festgelegten (und absolut fairen) Preis herunterhandeln wollten. Man Leute, ihr habt eben weit über 20 Euro für Alkohol und Essen investiert und wollt jetzt mit einem farbigen Einheimischen um zwei-drei Euro feilschen? Naja, asoziales deutsches Benehmen wie man es leider zu oft erlebt, man selbst entschuldigte sich folglich bei Eric, der aber erstaunlicher Weise trotzdem immernoch gute Laune hatte - ein wirklich cooler Typ!

Auf dem Abendprogramm stand dann abschließend noch die zweite Halbzeit von Frankreich gegen Uruguay, was im Fanzelt geschaut werden (musste). Dort lernte man dann mit Folke und Sina aber zwei absolut nette Leute aus Flensburg kennen, die die gleichen Lästeransichten über dieses Lager der Dummheit hatten und so begoss man die WM-Eröffnung dann doch mit einigen einheimischen Castle-Bieren, die wirklich in allen Punkten eine Eins sind: Gebraut 1895 (also natürlich "seit 1895", danke für den sachdienlichen Hinweis von der Elche-Internet-Fraktion..), TV-Werbung mit Bengalen als Hauptmotiv und vorallem super lecker! Da erträgt man dann ja sogar die Kälte im unbeheizten Zimmer bestens.. :-)

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