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„Unbeschreiblich!“

 

Eintracht Braunschweig 2:1 (2:0) FC Hansa Rostock
20.03.2011, 13.15 Uhr, EINTRACHT-Stadion (Braunschweig), 23.000 Zuschauer (ausverkauft)

Eintracht gegen Rostock, eins gegen zwei, Hooligans unter sich oder auch die Erkenntnis: Wohl kaum ein Spiel hat die 3.Liga in ihrer noch jungen Geschichte derart elektrisiert wieder Kick am heutigen 29. Spieltag. Beide Teams stellen sportlich den absoluten Ligakrösus und Eintracht selbst kritische Medien waren sich einig - wer heute gewinnt, ist de facto aufgestiegen. Selten haben zwei Mannschaften eine Liga derart dominiert und selten war eine Liga dennoch derart stark, so dass ich persönlich die These aufstelle, dass mindestens die ersten fünf Vereine der dritten Spielklasse locker eine Etage höher mithalten könnten. Eine wirklich krasse Situation, welche durch die Tatsache, dass diese beiden Wahnsinnsmannschaften auch noch über ein nicht unbeträchtliches Fanpotential verfügen, an unermässlicher Brisanz gewinnt. Jedem sind die Bilder aus dem Hinspiel, als der Eintracht-Sonderzug den kompletten Bahnhof lahmlegte noch bekannt und die Rostocker Fanszene hat gerade in diesem Jahr ohnehin eindrucksvoll bewiesen, dass sie zumindest in puncto Masse und Gewalt in Deutschland die mittlerweile unangefochtene Nummer eins ist. Entsprechend gehypt wurde der Kick dann also auch durch die Medien und die Sicherheitsorgane, der Rekordwert von 1.500 Polizeibeamten wurde eingesetzt, die Hamburger Straße erstmals seit Menschengedenken komplett gesperrt und im Vorfeld das Stadiongelände mit Flugdrohnen (!!) ausgemessen und observiert. Kein im Eintracht-Stadion ausgetragenes Spiel zuvor hatte ein derartiges Echo hervorgerufen und entsprechend motiviert, nervös und hibbelig waren dann alle Beteiligten schon weit vor Anpfiff, ganz gleich ob Fans, Spieler oder Trainer (wobei letzterer in der Nacht zum Spieltag sogar obendrein noch Vater wurde, herzlichsten Glückwunsch dazu! :-)).

Für mich persönlich bedeutete das Spiel in jedem Fall, am Samstag nur in Ruhe ein paar Biere im Altstadttreff mit alten Freunden zu trinken und dann mal die Gerüchte zu überprüfen, ob Rostocker tatsächlich bereits am Samstagabend anreisen würden. Zumindest ins Magniviertel verirrte sich zumindest keiner und auch am Stadion blieb es fast komplett ruhig, so dass man die letzten Stunden Schlaf dann im Mastbruch tätigte, ehe es am Sonntag bereits gegen elf zum Stadion ging. Das war natürlich einerseits der besonderen Brisanz des Spiels geschuldet, dazu hatte der NDR den Anpfiff aber auch auf bereits 13.15 Uhr vorverlegen lassen, so dass man ohnehin los musste. Und kaum, dass man aus der eigenen Haustür gestolpert war, merkte man schon die ersten Ausläufer des Spiels: In der Einfahrt zum Mastbruch (!!) parkten die ersten Patroullie-Polizeibullys, dessen Insassen mir auch tatsächlich und mit wichtiger Miene bestätigten, dass sie hier wegen des Spiels stehen würden. Polizeiwagen im Mastbruch bei einem Spiel im Stadion - das habe ich auch nie erlebt! Naja, wenigstens sind die Eltern dann gut beschützt und mit Bus und Bahn machte man sich dann auf in Richtung Norden. Das unterwegs natürlich erneut diverse größere und kleinere Polizeieinheiten den Weg säumten, war natürlich nur logisch und so dominierte neben blau-gelb die Farbe blau-weiß, statt blau-weiß-rot ;-).

Am Stadion wurde dann zufälliger Weise der Kollege Harzer getroffen, mit dem es dann unter den Augen einer "unauffälligen" Überwachungskamera im Hochhaus der Hamburger Straße auf einen Erkundungspaziergang ging: Tatsächlich hatte sich so viel gar nicht verändert, am Gästeeingang wurde lediglich ein Sichtschutz errichtet, der von einer recht planlosen Polizeieinheit aus Osnabrück eher beobachtet, statt bewacht wurde. Das hatte zur Folge, dass wir zusammen mit ein paar anderen eher kuttenähnlichen Fans beinahe von einem Rostocker Bahnhof-Shuttlebus überrollt wurden - das beherzte Eingreifen des wohl einzigen brauchbaren Teils der Einheit (einer Frau) verhinderte aber ein Überfahrmanöver. Zum Dank wurde unsere Retterin dann vom Harzer aber noch etwas auf die Schippe genommen, wobei auch sie irgendwann schnallte, dass die Animierungsversuche irgendwelcher anderer Eintrachtfans zum sofortigen Sturm der Nordkurve eher ironisch gemeint waren. Ein Teil dieser Fans stellte sich dann verrückter Weise ausgerechnet als regelmäßige Leser dieser Seite hinaus - liebe Grüße an dieser Stelle :-).

Draußen gab es also nicht wirklich was zu gucken und daher ging es dann halt hinein in den Lieblingsground Nummer eins und bei herrlichem Sommerwetter wurde an der Stadiongaststätte erstmal ein wenig Zeit totverquatscht, ehe es viel zu früh in den Innenraum ging. Dort sollte es heute ausnahmsweise mal neunzig Minuten bleiben - die Treppe des Zehners wurde aufgrund des ausverkauften Stadions freiwillig geräumt und bei so einem Spiel kann man ja auch mal direkt unten bleiben. Das sollte sich auch bereits gut zehn Minuten vor Anpfiff lohnen, erst stellte Wolters-Chef Peter Lehna eine Truppe Dosenmaskottchen (DIE will ich haben!) vor und dann stürmte Thilo bewaffnet mit einer Eintracht-Fahne und unter frenetischem Jubel auf das Spielfeld und huldigte diese symbolisch auf dem Anstoßkreis - eine alte Geste aus Bundesligazeiten, welche zur Feier des Tages recht spontan malwieder reaktiviert wurde. Der Stimmung sollte das natürlich nur förderlich sein und weil Ordner und Polizei auch vernünftig (nämlich gar nicht) reagierten, konnte es also jetzt gut gepusht in die Mannschaftsaufstellungen gehen: Dort sollten letztendlich nur zwei Personalien überraschen, Vrancic konnte entgegen vorheriger Meldungen doch spielen und Ex-Einträchtler Schied saß bei Rostock zunächst auf der Bank. Ansonsten beide Teams in Bestbesetzung, dazu das volle Haus und bestes Wetter - das Top-top-Topspiel konnte endlich losgehen!

Cattiva hatte zum Intro auf der Gegengerade eine eher schlichte, dafür aber eindeutige Choreo ausgelegt: "SIEG" stand in großen blau-gelben Buchstaben zu lesen, dazu das Spruchband: "Dem Gegner nichts schenken, die Kogge versenken" - eine ebenfalls klare Botschaft. Dazu gab's die üblichen Schwenker und Doppelhalter im Neuner, auf der Gästeseite zunächst gar nichts. Bereits vor Anpfiff hatte das (im Nachhinein bestätigte) Gerücht die Runde gemacht, dass der Ultra-Zugfahrerteil Probleme beim Umstieg ausgerechnet in Stendal hatte und daher erst gar nicht und dann nur teilweise und verspätet das Stadion erreichte. Bedanken darf man sich hierbei wohl nach mehreren und meiner Meinung nach vernünftig geschriebenen Beiträgen im Hansaforum wohl bei den übermotivieten Staatsdienern, die in Stendal wohl ihre persönliche Rechnung noch begleichen wollten. Schade, so fehlte natürlich ein nicht unerheblicher Bestandteil des Spiels, da weder optische noch akkustische Highlights bewundert werden durften, einzig eine dafür recht krasser "Stendal was magic"-Fahne zierte den Zaun. Pluspunkte gibt es ansonsten natürlich für die gute Masse an ebenfalls "guten" Gästefahrern, die sich auch im Sitzplatzbereich eher für das Stehen entschieden. Und auch wenn der Support auf Gästeseite den hohen Erwartungen noch nicht gerecht werden konnte, die komplett in rot kickenden Gästespieler agierten von Beginn an aggressiv und versuchten, das Spiel zu übernehmen. Petkovic musste bereits in den ersten Minuten ein paar mal gehörig aufpassen - mit Ausnahme der verkorksten ersten Halbzeit gegen Koblenz ist bisher wohl kaum ein Team derart offensiv in dieser Saison zu Werke gegangen. Doch Eintracht 2010/11 wäre nicht Eintracht, wenn nicht auch diese sportliche Herausforderung bewältigt werden könnte: Es waren gut 35 Minuten gespielt, als Bellarabi nach einem Fehlpass von Pelzer den Ball nahm, sich in seiner urtypischen Art auf rechts durchtankte, so dass Kruppke die scharfe Hereingabe nur noch einschieben musste - Führungstor und die Hamburger Straße ein Tollhaus sondergleichen! Ausgerechnet Kruppke, der wenige Minuten zuvor bei einer Ecke beinahe von einem verirrten Rostocker Böller erschlagen worden wäre, machte das 1:0 und zum Dank gab's einen netten Torjubel mit Babygeste für den Trainer. Das Stadion überschlug sich also regelrecht und es dauerte keine zwei Minuten mehr, als dieses Mal Theuerkauf von Kumbela im eintracht-typischen Zehn-Sekundenumschalten auf die Reise geschickt wurde und zum 2:0-Doppelschlag einnetzen konnte! Wahnsinn, ob im Innenraum oder auf den Rängen, alles lag sich in den Armen und irgendwie fühlte man sich schon gedanklich im Mai bei einem dieser legendären Aufstiegsendspiele! Als Konsequenz für den etwas provokanten Eintracht-Torjubel gab's einen weiteren Kanonenschlagböller aus Block 19, das sollte jetzt aber auch egal sein - bis zur Pause wurde der "Shaaaalalalalaaaaa"-Klassiker durchgeschmettert und mit einem breiten Grinsen und unter Standing Ovations ging es in die Kabinen - wow!

In der Halbzeit wurde kurz die eigentliche Heimat im Zehner besucht, ehe man wieder seinen Platz hinter dem Tor einnahm - jetzt sollte Eintracht zusätzlich auch noch auf den Kasten der Südkurve spielen. Und das tat die unveränderte Mannschaft dann auch zunächst, beide Teams schenkten sich zwar nichts, aber Eintracht konterte geschickt und in einem Riesentempo. Vrancic diktierte und Bellarabi hätte mindestens zwei Mal die 3:0-Vorentscheidung erzielen müssen - tat es aber nicht. Stattdessen kam Rostock auch nach der Hereinnahme von Marcel Schied besser ins Spiel, auch in der Nordkurve war jetzt ein Capo auf dem Zaun und so erwachte auch der Gästeanhang langsam und war auch ein paar Mal zu hören. Das wiederrum pushte die Südkurve nicht minder und auch auf der Gegengerade gab es nur noch selten ein Halten, Thilo turnte ohnehin schon irgendwo auf der Tartanbahn und nur die heute überragenden Boland und Kruppke dürften noch mehr Kilometergeld kassiert haben :-). Kurz vor Ende passierte es dann aber doch: Nach einer Ecke, die ironischer Weise von dem dritten Böller des Spiels begleitet wurde, konnte Schied unbedrängt aus kurzer Distanz zum Anschlusstreffer einschieben und es musste nochmal richtig gezittert werden. Gute zehn Minuten stand nahezu das komplette Stadion, alles fieberte dem Abpfiff entgegen - und jubelten entsprechend, als dieser dann endlich geschah! Die Rostocker Spieler bekamen zur Verabschiedung noch ein paar nette Worte zu hören (aus Braunschweig nach Wolfsburg zu gehen ist halt auch nicht so schlau, Herr Evuljskin), danach standen die Zeichen aber nur noch auf Feiern (bzw Pfandbechersammeln für die Jugend, die wurde davon ja beinahe erschlagen :-)). Ich lasse da einfach mal die unten folgenden Bilder sprechen - Lieberknechts Verbeugung und der Jubel der Mannschaft ist in Worte kaum zu fassen.. :-)!

18 Punkte beträgt der aktuelle Vorsprung auf den dritten Relegationsplatz (!), Dresden kann den Abstand theoretisch noch etwas verkürzen (was mir übrigens auch ganz recht wäre). Wir sind angesichts der noch ausstehenden Spiele aber trotzdem schon quasi durch, selbst Teamchef brüllte was von "Nie mehr 3. Liga"! Es ist einfach unbeschreiblich und daher spielten sich auch unbeschreibliche Szenen an der Gaststätte ab, wo nicht wenige spontanen Urlaub für Montag beantragten. Das Wolters floß, auch weil noch nachträglich auf Papa Heinz' 80. Geburtstag angestoßen wurde und natürlich auch, weil Clemens und ich uns eine Rettung für 1860 erprosten wollten (da muss es natürlich wieder hingehen :-)). Werdet zur Legende war gestern - jetzt sind wir es! :-)

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