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„Eine Zugfahrt die ist lustig ...“

 

Österreich 1:2 (0:1) Deutschland
03.06.2011, 20.30 Uhr, Ernst-Happel-Stadion (Wien), 47.500 Zuschauer (ausverkauft)

 

SSV Reutlingen 05 0:1 (0:0) SV Waldhof Mannheim
04.06.2011, 15.30 Uhr, Stadion an der Kreuzeiche (Reutlingen), 2.800 Zuschauer (ausverkauft)

Wohl dem, der rechtzeitig bucht: Nicht nur Insider wissen, dass die deutsche Bundesbahn ihre Fahrtickets ab 92 Tage vor Zugabfahrt in den Verkauf gibt. Logischer Weise ist die Nachfrage zu diesem Zeitpunkt noch recht gering und somit blieb man besagte 92 Tage vor dem heutigen Freitag im Juni bis Mitternacht auf und buchte sich zusammen mit Basti um kurz nach null Uhr in eine Tour ein, die schon fast Interrailcharakter besaß und zumindest bei mir ein absolutes Zug-Novum darstellte. Für den Spott-Sparpreis von gut 90 Euro wurde die Rundstrecke Braunschweig-Hanau-Wien-München-Stuttgart-Reutlingen-Stuttgart-Mannheim-Hannoi-Braunschweig gebucht, was mir erstmals ein Zugticket verschaffte, auf dem die gebuchte Strecke drei Tage umfassen sollte. Der Hintergrund für diese Rundtour war der anvisierte Besuch zweier Spiele, das EM-Qualiderby zwischen Österreich und Deutschland in Wien und das Entscheidungsspiel um den Aufstieg zwischen dem SSV Reutlingen und Waldhof Mannheim in der Oberliga Baden-Württemberg. Zwei Top-Matches also, die für mich sogar noch zwei Grounds darstellten und jegliche Anreiseform auch wahrhaft rechtfertigten. Entsprechend groß war dann auch das Kribbeln in den Tagen vor Tourstart, Bastis Emailbombardement nahm erwartungsgemäß stetig zu und so entstannt auch die anfangs eher spaßig gemeinte Idee, die Rundreise doch gleich auch noch mit einer natürlich gut gefüllten Kühltasche anzutreten. Angesichts der derzeit guten Wetterlage eine durchaus sinnige Maßnahme und so wurde die alte Familienkühlbox mal wieder reaktiviert und beladen mit einer Reisetasche, zwei Trägern Wolters und eben dieser Box ging es dann mit dem Fahrrad (!) zum Hauptbahnhof. Eine logistische Meisterleistung, die so manchem Frühaufsteher auf der Helmstedter Straße wohl zu einem kleinen Grinsen verleitet haben dürfte - der Zug sollte um 5.58 Uhr fahren und daher machte ich bereits mit Sonnenaufgang in dieser durchaus kultigen Art und Weise zum Bahnhof auf.

Nach kurzer Verwirrung wurde Basti dann auf dem Gleis auch getroffen, mit ihm warteten schon die beiden Wanderers OnkelTom und Kurt, welche uns allerdings nur bis Wien mitbegleiten sollten. Entsprechend mau war auch deren Versorgung, selbst eine Eintracht-Plastiktüte rechtfertigt nicht den Dauerkonsum von Cola-Bier :-). Und apropos Dauerkonsum: Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, das erste Bier erst nach Erreichen des Hildesheimer Bahnhofs aufzureißen und damit auf die heute Uni-Freiheit anzustoßen - die anderen kamen mir dabei leider zuvor und eröffneten die Runde bereits auf Höhe Woltwiesche. Naja, dann wird der Pflicht halt genüge getan, auch wenn so eine blöde Kuh hinter unserem Viererplatz das offenbar vor unlösbare Rätsel stellte. Unser Problem ist das aber natürlich nicht und so verging die Fahrt gen Hanau wie von selbst und ohne Verspätung konnte der Umstieg in den Direkt-ICE nach Wien erfolgen. Der entpuppte sich als moderner Zug der Dreier-Generation, welcher überraschend spärlich besetzt war - wir hätten jetzt ja schon mit ein paar mehr "normalen Leuten" gerechnet. Daraus wurde aber nichts und so musste auch die bayrische Polizeikontrollgang wieder von dannen ziehen, die übrigens wieder so gekleidet war, wie man sich Zivilpolizisten halt vorstellt (wertneutral gemeint :-)).

Ohne Probleme wurde Österreich also erreicht und bei eher magerem Wetter hieß es im Westbahnhof nach insgesamt über zehn Stunden Fahrzeit aussteigen. Es folgte das anvisierte Kulturprogramm, welches erwartungsgemäß aus Dönerkauf und Biere für die Rückfahrt holen und am Bahnhof Meidling deponieren bestand - die Kühltasche war tatsächlich schon fast wieder leer und somit wurde man halt in einem Supermarkt am Dosenregal nach sachgerechter Beratung fündig. Melanie kommentierte diese Aufgabenbewältigung via SMS übrigens recht sachlich: "Wir sind jetzt in dem-und-dem Museum - euer Programm steht ja wohl auch so fest." Richtige Erkenntnis, selbst OnkelTom nahm kurzerhand von seinem geplanten Riesenradtripp am Prater Abstand und zog lieber mit uns in Richtung Schwedenplatz. Auch hier gibt es nämlich durchaus ein touristisches Highlight zu erleben - das sogenannte "Bermuda-Dreieck", was seinen Namen einem engen und verwinkelten Kneipenviertel verdankt. Da sagt der geneigte 'Schlaaand-Tourist ja nicht nein und somit traf man auch eine weitere Gruppe Braunschweiger in einer der ersten Kneipen der Straße. Dort lief ansonsten eher das Volk der etwas motivierteren Kategorie herum und entsprechend kurz dauerte es, bis die ersten Länderspielklassiker ("Deutschlaaaand", "Hurra, Hurra ..") angestimmt wurden. Lied Nummer drei bestand dann genauso erwartungsgemäß aus dem politisch sicher nicht ganz korrekten "Wir sind wieder einmarschiert" - in Österreich nahm man das dann eher schmunzelnd auf. Eher gelassene Stimmung, die aber abrupt ins Gegenteil kippen sollte: Angebliche Frankfurter hatten ihre La Bomba-Böller nicht mehr so richtig unter Kontrolle und an einer weiter oben gelegenen Kneipe flogen als Reaktion dann wohl auch intern die ersten Stühle. Das wiederrum rief die bisher gut versteckte, aber zahlenmäßig stark präsente Wega-Polizeisondereinheit auf den Plan, welche kurzerhand von beiden Seiten in die Straße einrückte. Das erfüllte zwar insofern seinen Zweck, als dass die inneren Streitereien aufhörten - im Gegenzug verbündete sich das sportliche Volk dann aber spontan und entschied sich auf die Konfrontation mit der Staatsmacht. Spätestens jetzt war also die Zeit zur Flucht in eine Kneipe gekommen und so sah man von drinnen, wie draußen Schilder und rote Rauchtöpfe vorbeizogen, welche in den Medien später als Straßenschlachten beschrieben werden sollten. Ganz so extrem war das bei uns zwar nicht, für die Polizei genügte es aber in jedem Fall zum endgültigen Abriegeln der Straße, welche fortan nur noch mit Ticket und unter Abgabe der Personalien ermöglicht werden sollte. Darauf hatte man verständlicher Weise eigentlich gar keine Lust, leider zeigte sich die Polizei aber wenig verhandlungsbereit und so gab man zusammen mit anderen Braunschweigern halt seine Daten ab - mal schaun ob die wie versprochen auch in Österreich bleiben..

Nachdem sich unsere Reisegruppe dann wieder gefunden hatte, gab's im Nieselregen noch ein paar letzte Dosenbiere, ehe es mit der U-Bahn dann langsam zum Ernst-Happel-Stadion ging. Hier bekamen die Wanderers nun ihre zweite Luft und investierten in ein paar weitere Dosen, welche uns dann auch die Möglichkeit eröffneten, so manchem Ösi gleich mal die Meinung zu geigen. Freundlich wurde man erst wieder direkt am Stadion, dann trat nämlich niemand geringerer als die Grünen-Politikerin und Strahle-Karrotte Claudia Roth auf den Plan, welche zusammen mit ihrem eher sachlichen Pendant aus Österreich ebenfalls zum Spiel wollte. Ein Foto mit uns war da aber trotzdem Pflicht, was insbesondere den Basti zu einem Dauergrinsen verleitete :-). OnkelTom und Kurt konnten über derartige Auswüchse natürlich nur Staunen und so ging es lieber fix in den Ground, welchen der BS-Litro ja bereits zu genüge kannte. Ich persönlich finde ihn auch ganz okey, wobei man komischer Weise beim Erblicken des Spielereingangs sofort an den Tribünenverweis für Jogi Löw beim entscheidenen Gruppenspiel anno 2008 eben gegen Österreich denken musste.

Der deutsche Block war heute Hintertor untergebracht, wobei aufgrund unserer Position nur schwer zu schätzen war, wie viele Deutsche es tatsächlich geworden sind. Insgesamt war das Happelstadion mit 47.500 Zuschauern aber bis auf den letzten Platz ausverkauft, wobei uns durchaus eine rote Wand gegenüberstand. Der Nationalmannschaftssupport ist in Österreich ohnehin recht verbreitet, auch wenn die Tornados Rapid ihren offiziellen Support aufgrund der Pyrothematik zwar eingestellt haben, fand sich heute trotzdem eine Fangruppe Patriots auf der uns gegenüberliegenden Seite ein und hatten sogar manches optische Tifomaterial dabei: Zum Intro eine eher unspektakuläre Choreo, die durch die durchaus beachtliche Anzahl an Schwenkfähnchen auf allen Tribünen aber eine nette Aufwertung erhielt. Bei den Hymnen gab's dazu noch was für die Ohren, da bei beiden Stücken und leider auch während der folgenden Gedenkminute fleißig weitergepfiffen und gegröhlt wurde. Emotionen sind also durchaus im Spiel und dann freute man sich mal auf einen interessanten Kick, in welchem Jogi Löw sogar auch auf die Real-Stars Özil und Khedira zurückgreifen konnte. Im Sturm sollte Gomez sein persönliches Wien-Trauma von 2008 überwinden und damit gleichsam dem Dreckshannoier Pogatez das Leben schwer machen. Das letztere Unterfangen verlief aber leider nur recht schleppend und somit dauerte es bis eine Minute vor der Pause, ehe Gomez dann tatsächlich mal durchkam und zur glücklichen Halbzeitführung einnetzte. Die hatte dann aber dummer Weise auch nur bedingt bestand, keine zehn Minuten waren im zweiten Durchgang gespielt, da übertrug Wolfsburgs Wackelkapitän Arne Friedrich seine derzeitige Verunsicherung auf die Nationalmannschaft und besorgte per Eigentor den im Rund gut gefeierten Ausgleich. Schlechte Laune war also angesagt, wie ließen die dann spontan mal an irgendwelchen Hannos aus, was Melanie wiederrum zur peinlich berührten Flucht aus unserer Reihe veranlasste :-). Kann ich im Grunde gar nicht verstehen, immerhin musste sie so in der 90. Minute dann alleine jubeln: Alles stellte sich schon auf die Punkteteilung ein, da konnte ausgerechnet Gomez sein Traum endgültig überwinden und in der Schlusssekunde den Siegtreffer erzielen. Geniale Sache und auch ein wirklich guter Torjubel, so macht Auswärtsfahren Spaß! Eine Fackel erhellte dann auch noch den Gästeblock und unter großem Jubel pfiff der Schiri ab, Auswärtssieg und ein weiterer großer Schritt in Richtung EM-Quali!

Unser Jubel fiel entsprechend zwar fröhlich, zeitlich aber eingeschränkt aus - hieß es doch fix zum Meidlinger Bahnhof zurückzukommen, von wo bereits um kurz vor Mitternacht der Nachtzug zurück gen Deutschland starten sollte. Eine Blocksperre gab es glücklicher Weise auch nicht, so dass man sogar noch ein Sieger-Bier bei einem fliegenen Händler erwerben konnte, ehe es unerwartet zügig mit zwei Umstiegen in der Metro zur Philadelphia-Brücke ging, die passende Station zum Zielbahnhof. Sogar für eine Pizza blieb noch Zeit, ehe der Zug aus Budapest kommend fast pünktlich einfuhr und wir uns schnell ein paar Plätze in einem bis dato leeren Sechserabteil suchten. Da sollten später zwar noch zwei weitere 'Schlandfans und eine ungarische Frau zusteigen, alle drei nahm man aber nur noch am Rande wahr und tat zum Einschlafen halt das, was man schon den ganzen Tag getan hat und bekanntlich ja auch am Besten kann :-). Entsprechend kann ich mich an einen Besuch des Schaffners auch nicht wirklich erinnern - Basti meinte, ich hätte ihn auf jeden Fall ganz gut aus dem Abteil wieder raus komplimentiert :-).

Am frühen Morgen wurde schließlich München erreicht und passender Weise wartete direkt auf dem Nachbargleis unser Anschlusszug, der TGV nach Paris. Keine Sorge, so sehr übertreiben wollen wir dann doch nicht, tatsächlich fuhr der ehemals (?) schnellste Zug der Welt zwar wirklich ins Franzosenland, für uns sollte es aber "nur" bis Stuttgart gehen. Und erstaunlicher Weise ging es uns auch trotz weniger Stunden Schlaf auch unerhört gut und daher wurde die Kühltasche mal fix in den Vierer platziert und an nach kurzem Frühstück (bestehend aus einem Fruchttiger und englischen Sandwiches) an das Vorabendpensum angeknüpft. Darüber musste man natürlich selbst ganz gut grinsen und im Grunde schon fast lachen - direkt neben uns brach ein etwas bizarr gekleidete Mann quasi mit Anblick unserer Dosen regelrecht zusammen. Der hatte, wie sich bald herausstellen sollte, ebenfalls die Nacht durchgezogen und war nun tatsächlich auf dem Weg nach Paris. Das erfuhren wir aber nicht von ihm direkt, der Typ quatschte nach seiner eigenen Wiederauferstehung fortlaufend ein blondes Mädel gegenüber voll und erklärte der hilflosen Person ganz offen, dass er ja gestern "auf dem Puff war und das erste Mal seit drei Jahren gebummst hätte" und bei ihrem Anblick offenbar auf eine Wiederholung spekulierte. Anders dürften sich die Sprüche á la "Komm, ich lade Dich ein und zeige Dir Paris" bzw "Ich kann Dich da auch malen" wohl kaum erklären - was für ein Freak :-). Große Unterhaltung in jedem Fall im Zug während draußen das Schwabenland vorbeirauschte - durchaus eine schöne Landschaft in der Gegend da.

Stuttgart wurde schließlich ebenfalls pünktlich erreicht und man bekam so die vielleicht ja letzte Gelegenheit nochmal den Ground des alten Bahnhofes der Landeshauptstadt zu besuchen. Mir ist dieses Bahnhofsprojekt im Grunde ja herzlich egal, der Alte tut seine Sache natürlich auch bestens, auch wenn ein Supermarkt á la IhrPlatz oder leider irgendwie Fehlanzeige war. Es wurde sich also mal etwas rumgefragt und nach einem kleinen Frühstück in Form des nun schon mehrfach gefeierten Frühstücksburgers (ein Hoch auf JayBee!) ging es dann mal auf Erkundungstour. Fündig wurden wir schließlich bei Galleria Kaufhof direkt gegenüber vom Bahnhof - das ist zwar nicht die klassische Bierkauf-Location, der nette Praktikant an der Klamottenausgabe bestätigte aber, dass es hier auch sowas geben würde. Die Wahl fiel schließlich auf Pilsener Urquell - so bunt die Tour im allgemeinen war, so bunt auch das Alkoholprogramm. Nach diesem Kraftakt hieß es dann also in die Regionalbahn gen Reutlingen steigen, wo dann doch von meiner Seite aus etwas Schlaf nachholen angesagt war. Das schien aber auch dummer Weise die Lok anzustecken, gerade in Bad Canstatt angekommen ging auf einmal nichts mehr und wir hingen fest. Tolle Sache, die Sonne knallte mittlerweile auch wieder vom Himmel und der komplette Zug musste aussteigen und auf die nächste Verbindung warten. Im Grunde auch nicht weiter schlimm, wären wir so nicht direkt in den Stuttgarter Ultra-Pöbel gestolpert, welche mal wieder in großer Zahl ihre ach so coolen Reutlinger Freunde unterstützen wollten. Immerhin fielen wir dank geschickter Tarnung (Kühltasche :-)) und trotz meines lieBSte-Shirts nicht weiter auf und konnten die letzten Meter unbehelligt absolvieren bzw in Reutlingen sogar dem Polizeikessel gen Stadion entfliehen. Damit umgingen wir auch das anvisierte Reutlingen-Stuttgart-Cortero und stärkten uns lieber im Schatten bei einem Dönermann und mit Blick auf einen recht sinnlos platzierten Fisch im Stadtkern kurzzeitig. Zeit bis zum Anpfiff zur Bundesligaprimetime um 15.30 Uhr war ja ohnehin noch genug und somit entschied man sich ebenfalls für einen drei Kilometer langen Spaziergang zum Stadion an der Kreuzeiche. Unterwegs konnte trotz etwas umständlicher Suche sogar noch eine Sparkasse aufgetrieben werden und auch neue Getränke (die Kühltasche war ja eingeschlossen) fand man - erworben übrigens bei einem italienischen Feinkostladen. Die haben auch nicht schlecht gestaunt, dass ihre Kunden eigentlich kein Bock auf die Spezialitäten des Landes hatten, sondern zielsicher zum Bierregal wackelten :-).

Am Stadion angekommen wurde schließlich mit Weißi ("Der Schwabe vom Waldhof" :-)) Kontakt aufgenommen und sich kurzerhand in einer anliegenden Kneipe mit dem passenden wie genialen Namen "Schnorchel" getroffen. Dort warteten auch schon weitere aus der Weißi-Gang und auch die zweite Braunschweiger Besatzung um Ingo und Aehle kam wenig später dazu. Ouzos waren also die Konsequenz und man wärmte ein paar alte BTSV-SVW-Anekdoten wieder auf, wobei der Name "Elche" natürlich nicht nur einmal fiel :-).

Irgendwann kurz vor Anpfiff wurden dann schließlich die letzten Meter in das Stadion zu Fuß bewältigt, Tickets gab es ohne größere Schlangen noch problemlos an der Tageskasse. Im Block war dennoch schon gut was los, vielleicht 1.200 Mannheimer hatten sich aufgemacht, um den letzten Strohhalm in Sachen Aufstieg zu ergreifen. Eigentlich war da schon fast alles verloren, der Spitzenreiter aus Nöttingen hatte am Montag sein Nachholspiel sogar mit sage und schreibe 9:1 gewonnen und sich somit sogar auch im Torverhältnis vor den Waldhof gesetzt. Heute musste also gewonnen werden und auf einen Ausrutscher der Nöttinger Bauern in Bahlingen spekuliert werden - im Grunde undenkbar, die Hoffnung stirbt aber bekanntlich zuletzt..

Das Stadion selbst war schließlich mit offiziell 2.800 Zuschauern gefüllt - gemessen an den ehemaligen 2.Ligazahlen und der derzeitigen Ligazugehörigkeit sicher eine akzeptabele Zahl. Die heimische "Szene E" ist in den letzten Jahren bekanntlich gerade in Ultra-Kreisen zum Insider schlechthin avanchiert, heute füllte sich der entsprechende E-Block auch wieder recht stattlich und komplett in rot. Mit dabei auch die Freunde aus St. Gallen (wohl per Doppeldeckerbus) und wie gesehen aus Stuttgart, beim Waldhof turnten neben uns auch eine gehörige Horde Frankfurter Ultras rum. Auf die hatte man aber eigentlich keine Lust und verblieb daher im oberen Bereich des Blockes, wobei man aber auch den Weißi beim Bierkauf leider verlor. Dessen Organisation war auch eine einzige Katastrophe, zwei überforderte Mädels füllten Flaschen aller Art in Pappbecher um und verkauften zumindest das Radlerbier für unverschämte 2,50 Euro. Revidieren kann das vielleicht nur der etwas bizarre Umstand, dass es sich bei den Flaschen eigentlich um Halbliterformate handelte, die aber natürlich nicht komplett in den 0,4er Becher passten. Damit aber nichts verschenkt wurde, durfte man den Rest halt direkt beim Bezahlen wegziehen, so auch noch nicht erlebt. Dadurch dauerte das Ganze aber natürlich etwas länger und so erreichte man den Block pünktlich mit Einlaufen der Mannschaft und entsprechend mit Beginn der Choreo. Diese bestand aus schwarz-blauen Pappen (made by Supporters Art? :-)) und einem Spruchband, bei Reutlingen gab es erstmal noch nichts. Die Dichte sah auf Fotos aber in jedem Fall ganz nett aus, ein würdiger Auftakt.

Das Spiel selbst wurde dann bei brennender Sonne nur bedingt verfolgt, die Hitze und die schlechte Sicht verhinderten in Kombination mit jetzt offenkundigen Schlafmangel eine taktische Analyse á la Weblöwen. Interessanter wurde es da schonwieder im Block, als nämlich ein größerer Haufen Waldhöfer Zugfahrer zu spät an kam und sich schnurstraks auf die eigenmütige Besetzung des Pufferblocks machte. Das gelang dann mit Einwilligung der Sicherheitskräfte sogar auch, auf der Reutlinger Gegengerade ist auch heute noch nicht viel los. Auch die Szene E glänzte zwar mit äußerst geschlossenem Support und durchaus coolen Materialien wie Regenschirmen, war aber leider kaum zu vernehmen. Die Regenschirme wurden übrigens zu einem Spruchband, welches Reutlingen kurzerhand mit Boca gleichsetzte präsentiert, Mentalität vs Youtube kann wohl jeder selbst entscheiden. Immerhin gab es auch etwas Pyro dazu - nett, aber der Supportpunkt geht trotzdem an die Gäste. Deren Lieder warem zwar erwartungsgemäß eher oldschool, dafür aber wirkungsvoll. So wirkungsvoll sogar, dass der SVW in der 54. Minute durch Reule dann auch mit einem Sonntagsschuss tatsächlich mit 1:0 in Führung ging, was natürlich einen schönen Zaunsturm zur Folge hatte, den man fein abknipsen konnte. Damit aber nicht genug: Nach und nach verbreiteten sich Ticker-Ergebnisse aus Bahlingen, dort lag Nöttingen wohl zurück. In der Halbzeit also erstmal große Gerüchteküche angesagt, die dann im zweiten Durchgang durch allgemeinen Jubel bestätigt wurde: Mit sage und schreibe 4:1 hatte Bahlingen den bisherigen Tabellenführer in die Schranke gewiesen und weil es bei uns beim 1:0 blieb, war der Waldhof neuer Spitzenreiter und hat den Aufstieg am letzten Spieltag selbst in der Hand! Eine geniale Sache, damit hätte selbst ich ganz ehrlich nicht mehr gerechnet, was aber natürlich nicht heißt, dass es sich die Mannheimer wahrlich verdient haben. Die Oberliga geht halt einfach gar nicht, der Schritt in die Regionalliga wäre schon echt was feines. Man kann auf das letzte Heimspiel also gespannt sein, zwei Busse aus Braunschweig werden ja auch mit am Start sein.. :-)

Für Basti und mich ging es dann auch per Bus wieder zurück zum Bahnhof, wobei ich mir im Shuttle erstmal eine kleine Auszeit gönnte, die am Bahnhof auf dem entsprechendem Gleis auch gleich verlängert wurde. Das klappte solange, bis mich mein getreuer Mitfahrer auf einmal recht aufgeregt wachrüttelte: "Es gibt unseren Zug gar nicht!" Mit verbranntem Kopf und leichtem Kater war das so ziemlich die dankbarste Nachricht, wie es gibt unseren Zug nicht? Schnell nochmal das Ticket geprüft, das Datum stimmte und eigentlich sollte jetzt hier ein ICE nach Mannheim stehen. Stand er aber nicht und so ging erst Basti zum Serivcepoint, wobei dieser da eher die undiplomatische Ansprechvariante wählte und ich entsprechend wenig später etwas freundlicher daherkommen musste. Die Kombi schien in jedem Fall Eindruck hinterlassen zu haben, tatsächlich war der ICE seit ein paar Wochen einfach aus dem Fahrplan entfernt worden und weil wir offenkundig darüber nicht informiert wurden, standen uns jetzt alle Kulanzleistungen offen. Möglich wären eine Weiterfahrt so weit es geht (wohl Frankfurt/Main), darauf hatten wir aber natürlich in unserem Zustand nicht allzu große Lust. Gelegener kam da schon das Angebot, wir könnten doch for gratis im anliegenden InterCity-Hotel übernachten, da sagt man doch nicht nein. "Gastronomiegutscheine" im Wert von gut zwanzig Euro gabs noch dazu und das Rückticket für Sonntag natürlich auch - richtig coole Sache, die man so auch noch nie erlebt hat :-). Immerhin war die Nacht so gerettet und mit Kühltasche und Sack und Pack ging es dann also in das in den Bahnhof integrierte Hotel. Die Dame an der Rezeption machte angesichts unseres Auftritts natürlich auch ein vielsagendes Gesicht und konnte sich den Kommentar, "die Minibarpreise bräuchten wir ja wohl nicht wissen, wir hätten eine eigene ja dabei" auch nicht verkneifen, hihi :-).

Im Zimmer angekommen fiel ich aber dennoch sofort in den erwarteten Tiefschlaf, so dass Basti den Abend alleine auf der Bahnhofspiste verbringen konnte. Soll aber durchaus ertragreich gewesen sein, die lokale Pinte freute sich über ein paar Gutscheine und der BS-Litro über die seltene Nutzung einer Badewanne. Immerhin, am nächsten Tag waren wir beide wieder hellwach und konnten die Rückreise mit dem ersten ICE um 6.51 Uhr problemlos antreten. Der fuhr sogar direkt, pünktlich und ohne Ticketprobleme, so dass ungefähr ab Frankfurt die ja immernoch existenten Pilsener Urquell-Biere auch ihr würdiges Tourende fanden. Eine schöne Grundlage für den Trainingsauftakt des BTSV am Nachmittag (der übrigens vor ganzen 3.000 Zuschauer stattfand!) und der Abschluss einer wirklich exzellenten Zugtour! :-)

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