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„Ein Spiel ohne Fanclub ist ein gutes Spiel“

 

Belgien 0:1 (0:0) Deutschland
03.09.2010, 20.45 Uhr, Stade Roi Baudouin (Brüssel), 47.000 (ausverkauft) Zuschauer

Nach der WM ist vor der EM und somit sollte es bereits Anfang September das erste Mal auf wichtige Mission in Sachen "Punkte für die Quali" gehen. Eine durchaus nette Gruppe hatte die Jogi-Bande gezogen, neben der Türkei freuen sich auch Österreich, Aserbaidschan, Kasachstan und zum Auftakt Belgien über Duelle mit der DFB-Elf. Das freut das Fanherz natürlich gleich doppelt und so war schnell eine Fünfer-Gruppe zusammengestellt, die sich in Rockys Auto auf den Weg gen Brüssel machen wollte. Der Fussballtourist selbst hatte am Tag vor der Abfahrt noch für einen kleinen Schreckmoment gesorgt, da die Abfahrtszeit dank hoher Belastung am Arbeitsplatz auf 11.30 Uhr nach hinten verlegt werden musste. Meine Kultur-Planungen waren damit dann zwar erstmal im Archiv, aber mal schaun wie man so durchkommen wird.

Fast pünktlich traf man sich also am Freitagvormittag am Altstadtmarkt, der als zentraler Abfahrtspunkt ausgemacht worden war. Der Grund für den ungewönhlichen Einsammelort lag im heutigen Geburtstagskind Torben, der zur Feier seines Ehrentages zwei Kästen Wolters spendierte und diese nur ungern durch die halbe Stadt transportiert hätte. Da zeigte man sich natürlich verständnisvoll, auch wenn der Durchschnittspassant schon etwas entgeistert guckte, als er uns zum Teil im Trikot und mit besagten Getränkereserven am Markt rumstehen sah. Der Freitagstermin für Länderspiele ist offenbar noch nicht so in der Bevölkerung verankert - zugegebener Maßen war er aber auch für uns etwas gewöhnungsbedürftig.

Immerhin, die Fahrt verlief bei angeregten Diskussionen über die Fanlandschaften dieser Welt recht entspannt und weil sogar die XXL-Baustelle im Osten von Hannoi nahezu staufrei überstanden werden konnte, kam man auch zügiger durch, als im Vorfeld vermutet. Lediglich ein Sechs-Kilometerstau irgendwo im Umkreis von Duisburg hätte noch gefährlich werden können, doch der konnte dank des Navis problemlos umfahren werden, so dass Brüssel tatsächlich bereits am frühen Nachmittag erreicht wurde. Hätte ich selbst auch nicht unbedingt mit gerechnet und so wurden die Google-Maps-Ausdrucke wieder hervorgekramt und in das Navi einfach mal die Adresse des "Grand Place" eingeben, dem absoluten Stadtzentrum Brüssels (vergleichbar mit unserem Burgplatz). Der Verkehr wurde auf dem Weg dorthin natürlich merklich chaotischer und voller, irgendwie habe ich immer den Eindruck, dass in belgischen Städten mittelfristige Planlosigkeit herrscht. Wir sollten heute aber dennoch Glück haben, keine zwei Kilometer vom Grand Place entfernt wurde gerade eine Parklücke frei, die Rocky dann fix für uns sichern konnte. Passender Weise gab es auch direkt um die Ecke einen kleinen Hinterhof - da freute sich manche Mitfahrerblase, auch wenn dies einen kurzen Disput mit Anwohnern zur Folge hatte. Der verlief dann aber auch tatsächlich auf Deutsch, auch wenn die Belgier sonst ja nur zwischen französisch und holländisch wählen lassen. Brüssel, als Sitz der EU-Kommission, scheint da die internationale Ausnahme zu sein.

Zu Fuß ging es dann durch die vielen Winkelstraßen in Richtung Zentrum, als ungeplantes Highlight wurde auf dem Weg noch die "Saint-Catherine (FRA)/Sint-Katelijne (NED)"-Kirche gesichtet und abfotographiert. Schon da wurden vereinzelte "Deutschlaaaand"-Gesänge aufgeschnappt und so folgte man einfach mal seinem Gehör und kam schließlich am Place de la Bourse raus, an dem, wie könnte es auch anders sein, die Brüsseler Börse zu finden ist. Doch nicht das Finanzzentrum sollte uns in den Bann ziehen, lustiger war vielmehr das Treiben auf der anderen Seite der Straße am "O'Reilly's Irish Pub". Hier tummelte sich die erwartete deutsche Reisegruppe der "normalen Leute", bei denen keine peinlichen Zipfelhüte und Fanclub-Seidenschals, sondern die Farbe schwarz dominierte. Optisch in jedem Fall ein ordentliches Bild und wenn man so hört, wer alles den Sprung über die Grenze geschafft hat (u.a. ein Neunerbus mit 8/9 Stadionverbotlern..), dann erklärt sich der Mob auch von selbst. Bis auf ein-zwei Böller blieb es vor Ort aber (noch) friedlich und auch die Polizei hielt sich dezent im Hintergrund. Erst beim Marsch in Richtung Stadion soll es dann ja zu leichten Reibereien gekommen sein, die eine Ingewahrsamnahme aller ca. 220 Pub-Gänger für die Dauer des Spiels zur Folge hatte. Naja, so blieben in jedem Fall auch die teilweise gehörten "Thilo Sarrazin, shalalala"-Gesänge außerhalb des Stadions..

Nachdem wir das Treiben kurz verfolgt hatten, ging es den Schildern nach zum eigentlichen Tagesziel, dem nun schon vielzitierten "Grand Place" oder im zweisprachig auch "Grote Markt" genannt. Unterwegs wurde mit "Manneken Frites" noch eine absolut geniale Frittenbude gesichtet - ob die Vorstellung von vollgepissten Pommes wirklich so viele Kunden zieht, sei mal dezent dahingestellt, witzig sah es allemal aus. Der große Platz wurde schließlich erreicht und siehe da, auch hier herrschte schon ordentlich Betrieb. Grund waren jedoch weniger die vereinzelten deutschen Fans in den Cafés, sondern vielmehr das gerade stattfindene Bierfest mit dem schönen Namen "Belgian Paradise Beer". Der ganze Platz war mit Zeltgarnituren zugepflastert, wobei jede Brauerei aus nah und fern ein Zelt für sich beanspruchte und die geneigten Kunden entsprechend versorgte. Leider kapierten wir das Eintrittssystem nicht ganz (siehe Foto - "Ihr Plan zum Endsuff" :-)), dafür entschädigten wir uns mit ein paar Fotos des wirklich absolut schönen Platzes. Nicht umsonst ist der Platz seit 1998 ein Teil des UNESCO-Kulturerbes, neben dem gotischen Rathaus finden sich auch diverse eher in barrock gehaltene "Zunfthäuser", welche vor mehreren Jahrhunderten die Heimat für diverse Handwerkerzünfte darstellte und heute durch ihre einzigartige Bauweise überzeugt. Fotos knipsen also auch hier angesagt und nachdem dies nach Möglichkeiten gelang (einfach zu groß das alles), sollte das letzte (zu Fuß noch machbare) Kulturziel folgen - Manneken Piss. Das Wahrzeichen der belgischen Hauptstadt kennt natürlich jeder und somit war der Besuch auch hier Pflicht. Nach etwas Verwirrung wurde der "kleine Pisser" dann auch gefunden bzw. um ein Haar wäre man vorbei gelaufen, denn der Typ ist nicht nur klein, sondern wirklich mini. Ein bisschen größer hab ich mir die Brunnenfigur schon vorgestellt und wieso der nun so bekannt gewordne ist, weiß ich auch nicht. Aber gut, sollen die Belgier mit sich ausmachen, wieso sie eine nackte Figur, dessen bestes Stück nicht größer als ein kleiner Finger ist, so toll finden. Da überzeugten die Schokoladen-Figuren, die es nur unweit des Originals zu kaufen gab, doch schon eher, insbesondere als ein Päärchen in blau-gelb gekauft werden konnte und Rocky sogar noch eine typisch belgische Waffel obendrauf bekam. Die machte dann natürlich schon Appetit und somit wurde eine Lokalität zum Einkehren gesucht, die schließlich in einem Bierlokal gefunden wurde. Ich hatte zuvor noch einen Gyros-Döner gekauft und mit der Grundlage im Magen wurden die halben Liter Stella geordert. Auf das "Delirium"-Elefantenbier wurde trotz verlockender Werbung doch verzichtet .. :-)

Zurück ging es in der nahezu identischen Route wieder über den Grand Place und nachdem auch eine ulkige Junggesellenbande über den vermutlichen Ausgang des Spiels aufgeklärt wurde, ging es im Auto in Richtung Stadion. Auch hier wurde man schnell in Sachen Parkplatz fündig bzw bastelte sich den Parkplatz durch ein leichtes Verrücken der Verbotsschilder selbst. Hat ja keiner gesehen.. :-) Der Weg zum Gästeblock des Stade Roi Baudouin führte passender Weise am Atomium, dem Wahrzeichen der Expo 1958 vorbei, wo gerade die Reste der Fanclub-Party zusammengekehrt wurden. Die hatte man sich dann doch geschenkt, glaubt man OnkelToms SMS hat man bei der "Loveparade" aber auch nicht viel verpasst, Trottelfans olé! Gefühlte 1.000 Atmoium-Fotos später wurde der Gästeblock dann auch endlich erreicht und nach laschen Kontrollen (selbst mein in der Tasche vergessener Flaschenöffner fand den Weg ins Stadion), wurde das ehemalige Heysel-Stadion betreten. Groß Zeit zum Rumgucken war eh nicht mehr, der Anpfiff rückte näher und so ging's flugs auf die ausgewiesenen Plätze. Fast zumindest, nur ein paar Plätze hinter den unsrigen traf man die Wanderers-Besatzung, so dass spontan ein Braunschweiger Sektor aufgemacht wurde. Gab auch trotz vorheriger Weisung des belgischen Verbandes, es würde bitte jeder nur auf seinen Plätzen bleiben, keine Probleme und es konnte also losgehen.

Insgesamt 47.000 Karten hatten die Belgier für das heutige Spiel abgesetzt, das Nationalstadion war somit das erste Mal seit längerer Zeit wirklich restlos ausverkauft. Gut 9.000 Karten gingen dabei an deutsche Fans, wobei der Weg das entscheidene Kriterium ist. Denn nicht wie sonst war man als Deutscher an die Fanclub-Ticketlizenz und deren Willkürpreise gebunden, die Belgier hatten die Tickets für jedermann im Internet verkauft und so halt auch viele Leute angelockt, die aufgrund der fehlenden Fanclubmitgliedschaft sonst nicht zu Länderspielen fahren. Darüber heulte der DFB natürlich ganz bittere Krokodilstränen und beschwerte sich auch gleichmal bei der UEFA - armer Verband, wollen die Belgier euer überteuertes Sicherheits-Supi-Dupi-Konzept nicht mitspielen? Oder stört es euch einfach, dass ihr nicht wieder von jedem Fan den dreifachen Ticketpreis verlangen könnt? Ein großes Lob in jedem Fall an die Belgier, die so endlich mal faire Ticketkonditionen anbaten und so die Möglichkeiten für einen richtig guten Auswärtssuport schafften. Und um das vorweg zu nehmen: Heute sollte es richtig Spaß machen und genau die Atmosphäre erzeugen, die man sich bei einem Länderspiel wünscht, bei dem nicht die Zipfelmützenjünger das Sagen haben! Zum Intro wurde zwar optisch auf deutscher Seite nichts geboten, die Belgier punkteten aber mit einer Pappchoreo im Flammenmotiv - passend zu dem Motto der roten Teufel, mit welchen die belgische Mannschaft ja gerne asoziiert wird. Sah nett aus und nachdem die Heimfans unsere Hymne gnadenlos niedergebuht hatten, fühlte man sich auch endlich mal wieder bei einem richtigen Fußballspiel :-). Die Antwort auf die Pfiffe sollte bei der belgischen Hymne dann übrigens auf dem Fuß folgen, als wirklich laute "Deutschlaand"-Gesänge durch das Stadion hallten - ich weiß, das macht man eigentlich nicht, aber wer austeilt, muss halt auch einstecken können und beschwert hat sich ja auch keiner.. :-).

Das Spiel selbst begann dann so, wie es über neunzig Minuten laufen würde: Hart umkämpft und mit Chancen auf beiden Seiten. Die Belgier spielten keinesfalls schlecht mit und bestätigten meinen Eindruck, dass die Mannschaft aus dem Nachbarland einfach mal eine machbarere Gruppe ziehen muss, damit es mit der Qualifikation für ein großes Turnier klappen kann. Heute spielten sie, natürlich auch durch das Publikum gepusht, adäquat mit und insbesondere das 17-jährige Wunderkind Lukaku wusste zu gefallen. Ob der wirklich siebzehn ist, sei natürlich mal hingestellt - in Sachen Zweikämpfen ließ er sich aber von kaum wem etwas vormachen und so musste sich Manuel Neuer gleich zwei Mal bei Distanzschüssen strecken. Aber auch Deutschland besaß seine Chancen, auch wenn Khedira und Müller zunächst noch nicht treffen sollten. Ändern sollte sich dies erst in der zweiten Halbzeit, als eine Bayern-Kombination das 1:0 für 'Schlaand bringen sollte: Van Buyten verlor den Ball an Schweinsteiger, der legte raus zu Müller, der wiederrum zu Klose und dieser netzte eiskalt ein. Jubel natürlich im gesamten Sektor, dazu ein-zwei Bengalos und Böller mit vermutlich osteuropäischem Fabrikat, feine Sache! :-). Danach beherrschte Deutschland zunehmend das Spiel, auch wenn man dem Siegerbraten wirlich erst mit dem Schlusspfiff trauen durfte. Insgesamt geht der Sieg schon in Ordnung, einfach gewinnt man in Brüssel aber auf keinem Fall und man darf gespannt sein, wie sich die Türken hier präsentieren werden. Hoffentlich nervt dann aber die Blaskappelle auf der Heimseite, die als einziges (dafür dickes) Minus notiert werden darf. Eine Trompete mag zur Supportunterstützung ja noch angehen, eine gesamte Kapelle aber auzufahren hat doch irgendwann Schützenfestcharakter...

Nach dem Spiel ging es durch die dunkelen Straßen wieder zurück zum Auto, uns passierte aber genauso wenig, wie Nils und Torben, die man zwischenzeitlich verloren hatte. Beide warteten aber bereits grinsend (und mit Getränken bewaffnet!) am Wagen und so stand der Rückfahrt nichts mehr im Wege. Die Masse hatte sich mangels wirklich guter Spiele gegen eine Übernachtung in Belgien entschieden (einzig Hüls vs Sportfreunde Siegen wäre wohl ein Thema geworden) und da Rocky als Fahrer ebenfalls für die Heimfahrt votierte, ging es also direkt wieder in die Nacht hinaus. Gut, von der Nacht hat man auf den belgischen Autobahnen mit ihrer Festtagsbeleuchtung recht wenig, aber ein bisschen Schlaf sollte dennoch eingeholt werden. In Antwerpen wurde nochmal halbwegs billig getankt und am frühen Samstagmorgen zwischen vier und fünf Uhr wurde ich als letzter im Mastbruch abgesetzt. Nils und Torben wollten tatsächlich noch weiter in die Silberqulle ziehen - auf mich wartete da lieber das warme Bett, denn irgendwie hatte man sich wieder mal erkältet...

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