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„Eis im Schuh in Belgien“

 

Cercle Brügge 1:0 (1:0) Standard Lüttich
26.12.2010, 13.00 Uhr, Jan-Breydel-Stadion (Brügge), 9.198 Zuschauer

 

RSC Anderlecht 6:0 (2:0) Lierse SK
26.12.2010, 20.30 Uhr, Stade Constant Van den Stock (Brüssel), 23.449 Zuschauer

Entgegen der eigentlichen Planungen entschied man sich, den Jahresausklang 2010 mit einem kleinen Tripp nach Belgien, statt einer größeren Tour nach England zu bestreiten. Das Wetter hat Deutschland schließlich nach wie vor fest im Griff und da sich mit den beiden :-) Wanderers OnkelTom und Aehle recht schnell zwei Mitfahrer fanden und der Spielplan obendrein ein attraktives Doppel anbot, war die Entscheidung für die Benelux-Variante schnell getroffen. Lediglich die Anfahrtsmöglichkeit musste noch verhandelt werden, letztendlich stellte der Herr Papa aber trotz leichter Bedenken mal wieder seinen Golf und ich fungierte entsprechend als Fahrer. Die Theorie soweit also ganz schlüssig - kommen wir zur Praxis und die sollte es nochmal richtig in sich haben.

Gut acht Stunden Fahrzeit hatten wir angesichts der zu erwartenden Straßenverhältnisse für die gut 600 Kilometer zum ersten Etappenziel Brügge einkalkuliert. Statt am zweiten Weihnachtstag also wie jeder normale Mensch auszuschlafen (und in meinem Fall den familien-internen Tipp-Kickpokalsieg zu feiern :-)), hieß es also gegen halb vier aufstehen und wenig später das Auto von Eis und Schnee zu befreien. Eine gute halbe Stunde wurde dafür eingeplant, doch bereits nachdem der Wagen notdürftig mit einem Besen vom Schnee befreit war, wurde klar: Das wird heute eine längere Sitzung. Auf der Windschutzscheibe hätte man Schlittschuhlaufen können und - und das war noch viel schlimmer - die Türen waren derart festgefroren, dass ein Öffnen absolut unmöglich war. Auch die Flasche Enteiser nützte bei diesen Extremen recht wenig und man war gerade im Begriff, die komplette Tour abzusagen, als die letzte Verzweifelungstat endlich fruchtete: Mit einem lautstarken Hau-Ruck (zum Glück haben die Nachbarn nix gehört) wurde der Kofferraum quasi aufgebrochen und durch eben diesen das Auto bestiegen. Schnell also reingeklettert, die Heizung bis an den Anschlag gedreht und die Mitfahrer auf eine etwas spätere Startzeit vertröstet - bereits jetzt hatte die Tour absoluten Kultcharkater.

Mit gut dreißig Minuten Verspätung wurden die beiden anderen Herren also im Norden der Stadt eingesammelt und es ging bei Wenden auf die immerhin zweispurig geräumte A2. Bis zur Grenze nach NRW alles ganz easy, gut 100 kmh waren möglich und man machte erstmal Meter. Eine schlaue Entscheidung, denn spätestens mit Erreichen des Nachbarbundeslandes herrschte auf den Straßen das absolute Chaos. Dauerschneefall setzte ein, die Straße war ungeräumt und mit etwas über 30 kmh kämpfte man sich durch die gut zehn bis zwanzig Zentimeter dicke Schneeschicht. Drumherum war alles stockfinster und lediglich Ddie Rückleuchten der in einer Schlangenlinie fahrenden Autos dienten ansatzweise als Wegweiser. Zugegeben, das war echt schon grenzwertig und nicht nur einmal sah man aufeinander gefahrende Autos am Straßenrand, passend kommentiert von den WDR-Radionachrichten, die vor "glatten Straßen in weiten Teilen NRWs" warnten - danke für diesen Hinweis. Mit Erreichen des Ruhrgebiets verbesserte sich die Lage dann wenigstens etwas, die Sonne ging auf und auch die Straßen waren ansatzweise geräumt - fix also durchgebraust und ab in Richtung Holland. Kurz vor Venlo wurde dann ein erstes Mal getankt, Mike nutzte dies zur ersten Kontaktaufnahme mit der niederländischen Bevölkerung - zumindest deren U10-Kids, die mit Meister Aehle ein wenig gegen einen alten Kanister treten durften - 1:0 für Deutschland würde ich mal sagen :-).

Die Grenze nach Belgien war dann auch nicht mehr fern und auch hier änderten sich die Straßenverhältnisse ruckartig. In Flandern scheinen die Räumdienste auch an Weihnachten aktiv geworden zu sein und je westlicher man kam, desto weniger Schnee lag auch im Allgemeinen auf den Dächern und Feldern. Staus blieben ebenfalls Fehlanzeige und so konnte Brügge nach einer wahren Odysee gegen zwölf Uhr und damit eine Stunde vor Beginn des ersten Spiels erreicht werden.

Der Wagen wurde an einer Einfahrtsstraße zur Stadt kostenneutral abgestellt und zu Fuß wurden die letzten Meter zum Jan-Breydel-Stadion in Angriff genommen. Trotz kleiner Ausrutscher gelang auch dies unbeschwert und nachdem in einem Mischmasch aus Englisch, Deutsch und Gebärdensprache auch noch die ersehnten Tickets über den Ladentisch gingen, fielen allen Teilnehmern endgültig ein Stein vom Herzen - und ich kann mich hier endlich auf das Wesentliche, den Fußball ;-), beschränken.

Cercle Brügge vs Standard Lüttich stand im ersten Spiel des Tages auf dem Programm - eine sportlich durchaus reizvolle Partie zwischen zweier Teams, die beide Ambitionen auf eine Platz im internationalen Geschäft haben. Lüttich hat dies ja trotz des Verlustes mehrerer Leistungsträger in der Sommerpause (Jovanovic nach Liverpool, de Camargo nach Mönchengladbach) ja ohnehin und Cerlce spielt in dieser Saison einfach einen guten Ball und hat es zumindest nominell geschafft, der Nummer eins der Stadt, dem Club Brügge, gefährlich zu werden. Dank der Sonne stand der Austragung auch nichts mehr im Wege (tatsächlich fanden heute nur drei Spiele der ersten Liga statt - zwei davon sahen wir :-)) und so fanden sich immerhin 9.198 Zuschauer zum Anpfiff in die Spielstätte der Euro 2000, wobei der heimische Ultra-Haufen hinter dem Tor doch etwas verloren wirkte. Bewegung war dort trotzdem dauerhaft zu sehen und dank der Akkustik in dem meiner Meinung nach sehr genialen (weil kunterbunt aufgebauten) Stadions hörte man die Jungs auch ab und zu. Aus Lüttich hatten sich gut 900 Rot-Weiße in Richtung Nordseeküste aufgemacht, bereits schnell wurde aber deutlich, dass bei Standard nach wie vor der Streik dominiert. Warum ist mir nach wie vor nicht endgültig bekannt, auch wenn heute zwei Protestspruchbänder den Weg in den Gästeblock fanden. Das war mit den Ordnern wohl nicht endgültig abgesprochen und so versuchten die orangen Jungs, die Banner der roten Jungs einzukassieren - und kassierten dafür selber ein paar Haue und so wanderten die Protestlappen weiter unbehelligt durch den Gästeblock. Nette Aktion von Standard, ein normaler Supportauftritt hätte mir aber dennoch um einiges besser gefallen und irgendwie wirkte das Bild des zumeist schweigsamen und dann halbherzig pöbelnden Gästeblocks auch irgendwie unwirklich kurios.

Und als hätten sich die Gästespieler dem merkwürdigen Verhalten ihrer Anhänger angeschlossen - auch sie verweigerten auf dem Platz jegliches konstruktives Spiel. Keine Ahnung was in die Mannschaft da heute gefahren war, von Minute eins an zeichnete sich Lüttich einzig durch Lamentieren und Rumgetrete aus, was bereits in Minute 36 zu einer roten Karte für Witsel führte. Dass Cercle dank eines Treffers von Reynaldo auch noch mit einer Führung in die Kabine ging, war die nur logische Randnotiz.

Zur zweiten Halbzeit dann ein etwas ungewohntes Bild, beide Teams hatten ihre Trikots in der Pause gewechselt, nachdem sie zunächst Leibchen mit einem einheitlichen Sponsorenlogo (nicht erkennbar) getragen hatten. Am Spielverlauf änderte auch dies aber nur wenig, Cercle dominierte weiter und Lüttich begann erst in den Schlussminuten mit so etwas wie Offensivfußball - der dann aber auf Schwalben und Fehlpässe hinauslief, an denen natürlich auch der Schiri schuld war. Wiegesagt - was deren Auftritt heute zu bedeuten hatte, mögen die Gäste wohl nur selbst verstehen und so knipste man lieber die jubelnden Heimanhänger, die vom Stadionsprecher sinngemäß mit der Aussage in Richtung Silvester verabschiedet wurden, "dass das ein Jahr für Cerlce Brügge gewesen sei!" Na dann mal Prost Neujahr!

Nach Spielschluss wurde im Fanartikelstore noch schnell vorbeigeschaut, wobei OnkelTom dann doch auf die Fünf-Euroinvestition in eine grün-schwarze Zahnbürste verzichtete, nachdem er seine eigene daheim hatte liegenlassen. Zeit blieb dennoch reichlich und so wurde der Wagen zunächst in Richtung City der europäischen Kulturhauptstadt von 2002 gesteuert. Dort war aber wohl noch der absolute Weihnachtsrausch am Gange und so steuerte man lediglich schnell durch das Smedenpoort-Stadttor und dann einmal durch die verwinkelten Gassen. Ein konkretes Ziel gab es dabei nicht und so beließ man das Sightseeing bei der kleinen Stadtrundfahrt und einem kurzen Blick aus der Ferne auf die Sint-Salvator-Kathedrale. Das eigentliche Kulturhighlight der Tour sollte schließlich erst noch folgen, das Schlachtfeld der legendären Schlacht von Waterloo am gleichnamigen Ort hatte ich uns als Zwischenstation zwischen den beiden Spielen ausgesucht. Es ging also zurück auf die mittlerweile gut gefüllte Autobahn und nachdem der Brüsseler Ring überstanden wurde und die Fanbusse von Club Brügge (auf dem Weg nach Gent) ebenfalls unbeschadet gelassen worden, erreichten wir bei tiefstem Nebel und Dunkelheit den kleinen Ort Braine-l'Alleud, bei dem im Jahre 1815 die Schlacht am heftigsten getobt hatte und wo Napoleon Bonaparte seine größte und entscheidenste Niederlage erleiden musste. In Verbindung mit dem dichten Nebel und dem Schnee wirkte die gesamte Szenerie durchaus sehr mystisch und so stapften wir zum Denkmal des "Butte du Lion" (zu Deutsch Löwenhügel), welcher als Hauptmonument den Ort der damaligen Schlacht markiert. Leider war der Löwe selbst trotz Beleuchtung im Nebel nur zu erahnen, das Gesamtbild wirkte aber durchaus eindrucksvoll und weil auf Seiten der siegreichen Engländer um General Wellington ja auch das Braunschweiger Herzogtum gekämpft hatte, hinterließen wir auch standesgemäß einen Aufkleber als eigene Erinnerungsmarke.

So denn, der Kultur war also genüge getan - Mike klagte derweil nicht zum ersten Mal über nasse Strümpfe und stellte nach Widerankunft im Auto fest, dass er ja Eis in seinen Turnschuhen hatte. Wirklich winterfest war der Gute wahrlich nicht gekleidet und so wurden die folgenden dreißig Kilometer zu einer ganz eigenen Schlacht um die Lüftung und die Heizung, letztendlich hatte man aber ein Einsehen und ließ den guten Aehle seine Strümpfe trocknen, während selbiger seine Füße in seinen Handschuhen vergrub. "Tzz" würde manch einer da wohl machen :-).

Der Brüsseler Stadtteil Anderlecht wurde dank Navi zielsicher erreicht und gut zwei des Ausfluges nach Waterloo immernoch reichlich Zeit bestand, wurde der Shoppingtempel kurzerhand besucht, Mike spekulierte dank der Werbeanzeigen sogar schon auf ein neues Paar Strümpfe. Dummer Weise waren die Geschäfte aber schon im Begriff zu schließen, insbesondere an dem Burgerladen mit bereits geschlossenem Gitternetz deutlich wurde. Werden die Armen Belgier jetzt bis zum nächsten Morgen mit Fritten gemästet? :-)

Der französisch-sprachige Sicherheitsdienst machte dann für uns zwar unverständlich aber schon irgendwie eindeutig klar, dass demnächst endgültig geschlossen werden würde und daher ging's für uns zu Fuß zum "Stade Constant Van den Stock". In Bruxelles wird halt französisch gesprochen und entsprechend kompliziert stellte sich dann auch der Kauf einer Portion Pommes mit reichlich Mayo an einem england-typischen Händler vor dem Stadion heraus. Klappte am Ende aber trotzdem und sogar auf den bei den Einheimischen recht beliebten Gulasch-Zusatz verzichtete das Mädel an der Theke, merci beaucoup! Die Tickets wurden wie geplant eingeholt - ein Glück, dass tatsächlich welche bereit lagen, denn wie auch schon beim ersten Versuch, Anderlecht zu kreuzen, gab es heute keine einzige Tageskasse. Ob das mit der Sicherheit zu tun hat, vermag ich nicht zu sagen - betrachtet man die eher lächerlichen Kontrollen am Stadion, dann wohl eher nicht.

Unsere Plätze hatten wir im Unterrang der "Tribune 2", als den Stehplätzen, die sich dummer Weise direkt neben den Gästeplätzen befinden. Fototechnisch also eine Katastrophe und auch das Fangnetz vor machte die Sicht auf die heimische Ultrakurve und das Spielfeld an sich nicht gerade besser. In unserem Block tummelte sich derweil ein buntes Volk von Totalassis bis Familen mit Kindern, wobei der Herr Papa wohl in Erklärungsnöte kommen dürfte, woher dieser süßliche Rauch an manchen Ecken des Blockes stammte :-). Über uns befand sich zusätzlich noch der Block der eher kuttigen Ultras (?) von "Purple Heart", die zum Intro mit ein wenig goldenem Konfetti das größte Highlight bildeten. Die schwarz-gelben Luftballons der Jungs aus Lierse konnten wir leider dank der Position nicht sehen und daher beschränke ich mich mal auf das, was deutlich zu erkennen war: Da wäre zum Einen das Gesamtbild des Stadions, sehr kompakt und trotz des Vip-Ranges in allen Tribünen sehr schick. Hat ein bisschen was von England und auch die Stimmung sollte sich heute dem eher spielbezogenen Support von der Insel anpassen. Eher mau also, ganz im Gegensatz zu dem Geschehen auf dem bestens bespielbaren Rasen: Lierse, als Vorletzter gegen den Spitzenreiter Anderlecht ohnehin in der Underdog-Position, wurde von Minute eins überrollt und so stand es zur Halbzeit bereits hochverdient 2:0, Roland Juhasz und das belgische Supertalent Romelu Lukaku per Abstauber hatten getroffen.

In der Pause verlor sich unsere Gruppe dann im allgemeinen Halbzeitgelaufe und weil drei Dumme bekanntlich immer einen Gedanken haben, sollte das auch erstmal so bleiben: Ich vermutete, dass die anderen Beiden wohl zwecks Fotos auf die Haupttribüne gewechselt waren und schlich mich ebenfalls dorthin. Kaum dort angekommen, wurden die Anderen aber auf unseren eigentlichen Stehplätzen erblickt und so machte ich mich direkt nach Wiederanpfiff wieder zurück auf den etatmäßigen Platz. OnkelTom und Mike waren in der Zwischenzeit aber ebenfalls davon ausgegangen, ich wäre auf der Tribüne und standen nun ihrerseits im Oberrang herum - von wo wir uns nett zuwinkten und das Verwirrspiel zu 50. Minute aufklärten :-). Das war dann auch gerade rechtzeitig genug, nach einer Stunde traf Marcin Wasilewski per Elfmeter zur 3:0-Entscheidung, die Lierse den KO-Schlag gab. Mbark Boussoufa (70.), Pablo Chavarria (85.) und nochmal Boussoufa (89.) schossen den Gast letztlich mit 6:0 in Richtung Heimat - mein wohl höchstes Hoppingergebnis bei Punktspielen. Hatte ein bisschen was von unserer Eintracht, nur dass die Anderlechter Fans das Ergebnis als eher normal betrachteten und sogar noch vor den letzten Toren zumeist das Stadion verließen. Ein Bengalo der Ultras gab es dennoch und die Spieler feierten nach Ende dann halt mit dem letzten Rest der 23.449 Zuschauer. Interessante Notiz übrigens am Rande: Das Spiel wurde am heutigen Tage vom luxemburger FIFA-Schiri Alain Hammer gepfiffen, der seine Karriere nach 28 Jahren ausgerechnet heute und hier in Anderlecht beendete. Chappeau!

Nachdem Mike sich noch im Fanshop versorgte und dabei sogar die letzte Pyroeinlage des Jahres auf der Straße am Stadion verpasste, ging es für uns dann fix zum gebuchten Formel1-Hotel am Brüsseler Flughafen. Dort klappte alles wie gewohnt, auch wenn sich die Mitfahrer noch an den neuen Hopperstandard gewöhnen mussten - da muss eindeutig mehr Routine rein:-)! Nach wohlverdienter Nacht klingelte der Wecker am nächsten Tag dann bereits um sieben Uhr, den Familienvater drängten Termine und so ging es fix und mir nur einem Tankstop in Oelde wieder zurück nach Braunschweig - nach 149 Fußballpartien in einem schönen Jahr 2010.

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